Tagebücher

Ahoj Brünn



September 2018

Stipendium AHOJLEIPZIG in Brünn | Brno

 

 

Anlässlich des Gastlandauftritts TSCHECHIENS in LEIPZIG 2019 wurde ein Residenzprogramm aufgelegt, das fünf tschechische Schriftsteller*innen nach Leipzig und fünf deutsche in Leipzigs Partnerstadt Brünn einlädt. Ich bin im Rahmen von AHOJ LEIPZIG vom 4. bis 30. September 2018 Stipendiatin in BRÜNN. __Jeder neue Ort, den man besucht, an dem man sich eine Weile aufhält, bietet die Chance eines offenen Blicks und der sinnlichen Durchlässigkeit.

 

Wewelsfleth, geschwärzt



Juni–August 2013

Alfred-Döblin-Stipendium in Wewelsfleth

 

 

 

 

 

 

 

 

 


weich

federt der Schritt im Rücken die schmeichelnde

Abendsonne Kleeschöpfe rötlich in

Trauben ..*

 

(der Klee gerade jetzt ebenso)

 

 

 

 

 

* F. Mayröcker: Sträuße, Kirschen im Wind

 

 

völliger Verlust der Kontur

alles wird zu einer Ansammlung vertikaler Linien

 

 

Auf dem Sofa_01



Tagebuch meiner Lektüren
Januar 2009

 


15. Januar: An diesem hellen Wintertag kamen zwei Bände, welche Großzügigkeit des Verlages!, WARLAM SCHALAMOW, seine ERZÄHLUNGEN AUS KOLYMA (AUS DEM RUSSISCHEN VON GABRIELE LEUPOLD. MIT EINEM NACHWORT VON FRANZISKA THUN-HOHENSTEIN. MATTHES & SEITZ 2007, 2008), kälteabstrahlend von der Transportfahrt durch den Januarfrost, und beim Aufblättern und Lesen der ersten Seiten hatte ich immer dieses kalte Papier in den Händen, als würde der Umschlag – der eine flache Schneelandschaft zeigt, verschneite Baracken am Horizont, einen Weg, der an einem Drahtweidezaun entlangführt, darauf eine auseinandergezogene Kolonne Männer, die Entferntesten nur ein, zwei Millimeter groß, die vorn zwei, fast drei Zentimeter, vermummt gegen die Kälte, in dicken Filzstiefeln, mit Schapkas tief über Stirn und Ohren, schwarzweiß das alles (Fotografie Tomasz Kizny, Wroclaw) – nicht nur den sibirischen Winter zeigen, sondern diesen Winter ausströmen, und fast erwartete ich, beim Lesen weiße Atemwölkchen auszustoßen, und die erste Erzählung hieß, wie der ganze Band 1: DURCH DEN SCHNEE.

 

Auf dem Sofa_02



Tagebuch meiner Lektüren
Februar 2009

 


Am 5. Februar kommt mit der Post wieder ein ganzer Berg Bücher, so MARY ELLEN JORDAN HAIGHT: SPAZIERGÄNGE DURCH GERTRUDE STEINS PARIS. AUS DEM AMERIKANISCHEN VON KARIN POLZ. ARCHE ZÜRICH 1989. Hinten bisschen zerdatscht. Fünf Spaziergänge durch Paris, Rive Gauche. Sehr schöne Luftaufnahme von der Ile de la Cité und der Rive Gauche. Viele Fotos, so viele Leute! Und alle lebten und arbeiteten in Paris. Ansteckend lebendig. Das ist jetzt Berlin. Auf Seite 100, ungeheuer berührend, ALICE B. TOKLAS als alte Frau (1955) vor dem Picasso-Porträt von GERTRUDE STEIN––– Und eine dieser Frauen war DJUNA BARNES, deren eigenes kleines Paris-Buch, PARIS, JOYCE, PARIS. AUS DEM AMERIKANISCHEN VON KARIN KERSTEN. MIT EINEM NACHWORT VON KYRA STROMBERG. INSEL TB 3294 2007, gleichfalls heute, am 5. Februar, ankam  – und da das nur so ein Büchelchen ist, das man während zweier S-Bahnfahrten wegliest, tat ich das auch gleich, aber es hätte mich nicht sonderlich interessiert, wenn es nicht auch zwei Seiten zu GERTRUDE STEIN enthielte – es gibt Sachen von BARNES, die weit besser sind.

 

Auf dem Sofa_03



Tagebuch meiner Lektüren
März 2009

 


Drei Bücher von WAGENBACH, die eine Weile unausgepackt, unangesehen, ungehuldigt, bei der Post lagen, ehe ich sie heute, am 2. März, nach ein paar Tagen der Abwesenheit und des Nicht-wann-die-Post-offen-hat-da-sein-Könnens endlich abholen und aus der viel zu großen Verpackung, in der sie beim Transport nur so hin und her geflogen sein müssen, befreien konnte: NATALIA GINZBURG: ANTON ČECHOV. EIN LEBEN. AUS DEM ITALIENISCHEN VON MAJA PFLUG. WAGENBACH TASCHENBUCH 2009. ČECHOV könnte einem jederzeit in der S-Bahn gegenübersitzen. Er hat diese zeitgemäße, ironisch-schwermütige Lässigkeit und den prüfenden, ernsten Blick, der ihn sofort interessant und gegenwärtig macht. Er ist wirklich da. Das Foto von 1894, in Jalta aufgenommen, man möchte gleich mit ihm reden, über alles Mögliche, Literatur, die Kranken, Politik, den Bau eines Badehäuschens unten am See.
 

Auf dem Sofa_04



Tagebuch meiner Lektüren
April 2009

 


1. April: ELSE LASKER-SCHÜLER: BRIEFE 1937–1940 (bearbeitet von Karl Jürgen Skrodki und Andreas B. Kilcher, Bd. 10 der Werkausgabe, Jüdischer Verlag 2009). Heute sind die Fahnen gekommen, 26 Bögen. 606 Seiten, davon die Hälfte Anmerkungen. Eine Heidenarbeit. Und nach der Lektüre von Editorischer Notiz und einigen der ersten Briefe zu urteilen, wohl auch kein ganz großes Vergnügen. Nun muss ich aber erst mal weitere Bücher herbeiholen, die etwas Hintergrund für die Lebensphase geben, den Marbacher Katalog und die Rowohlt-Monographie. Ein interessanter Aspekt, neben dem Inhaltlichen, das biographischen Aufschluss gibt, ist das Formal-Besondere der Briefe, der ELSE-LASKER-SCHÜLER-Ton zwischen poetischer Traumverlorenheit und Hyperrealität, denn vieles erkennt sie klarer als jemand, der mit beiden Beinen im Leben steht, wie es immer heißt, und dem gerade deshalb der notwendige Abstand fehlt, um zu erkennen, was dieses Leben ist.

 

Auf dem Sofa_05



Tagebuch meiner Lektüren
Mai 2009

 


27. Mai: ALLEN GINSBERG: HOWL AND OTHER POEMS. CITY LIGHTS BOOKS o. J. Wunder-, wunder-, wunderschöne Ausgabe.

 

Auf dem Sofa_06



Tagebuch meiner Lektüren
Juni 2009

 


30. Juni: Heute brachte ich auf einem morgendlichen Viel-Gänge-Weg auch ein paar aussortierte Bücher in den 1-Euro-Buchladen in der Finowstraße und durfte mir, da ich kein Geld haben wollte, dann ein Buch aussuchen, nahm CHRISTA WOLFs: KINDHEITSMUSTER (Aufbau 1977, leider nicht die Erstausgabe und ohne Schutzumschlag), schon mit Blick auf das neue Schreibvorhaben, den zweiten Roman, und im Buch fand ich eben, als ich ein paar Seiten umblätterte – das muss sein, um das Buch der eigenen Bibliothek einzuverleiben – einen Fahrschein der BVB (Städt. Nahverkehr, Hauptstadt der DDR, Berlin, Preisstufe 1), mit fünflöchrigem Knipsmuster, der, den billigen Charakter seines Materials weitergebend, auf den Seiten 40/41 säurelassend aufs Papier abgefärbt hatte. Auch in den Büchern meiner Eltern finde ich immer wieder diese DDR-Nahverkehrsfahrscheine, und bin dann immer gleich in die Kindheit zurückversetzt, jetzt, im Sommer, spüre ich sofort wieder die nackten Beine, die auf den Plastesitzen klebenbleiben (ein leichter, ziehender Schmerz beim Aufstehen), das glattpolierte Holz mit den Fugen zwischen den Leisten; damals konnte man noch die Fenster herunterziehen bis zur Mitte, und alles zauste im Fahrtwind – aber nun bin ich ja fast schon im nächsten zu schreibenden Buch und schreie HALT!, AUSSTEIGEN!, lass dich nicht von Kindheitserinnerungen nostalgisch stimmen, so geht es nicht.

 

Auf dem Sofa_07



Tagebuch meiner Lektüren
Juli 2009

 


ICH WOLLTE IHNEN SAGEN, IHNEN: Wenn ich jung wäre, wenn ich noch nichts wüßte von der Trennung zwischen den Menschen und der quasi mathematischen Konstanz dieser Trennung, würde ich dasselbe tun wie jetzt, dieselben Bücher schreiben, dieselben Filme drehen. Ich bin also im Alter von achtzehn Jahren stehengeblieben, wie sie, die ersten Zuschauer und Leser. Wenn ich gestern gestorben wäre, wäre ich mit achtzehn gestorben. Wenn ich in zehn Jahren stürbe, würde ich ebenfalls mit achtzehn gestorben sein. Ich sage Ihnen auch: Man glaubt, die Erkenntnis dieses grauenhaften Tatbestands der unaufhebbaren Trennung zwischen den Menschen nicht überleben zu können. Doch es stimmt nicht. Man überlebt es. Man kann. Jeder auf seine Weise.
 

Auf dem Sofa_08



Tagebuch meiner Lektüren
August 2009

 


Der August steht bisher ganz im Zeichen essayistischer und pamphletistischer Bücher, die Belletristik mault aber nicht (sie weiß schon, dass sie bald wieder zu ihrem Recht kommt). Alles begann am 1./2. August mit JULI ZEHs ALLES AUF DEM RASEN. KEIN ROMAN (btb 2008), einer Sammlung von nach Themen (Politik, Gesellschaft, Recht, Schreiben, Reisen) geordneten Beiträgen für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, mehr oder weniger gelungenen Essays, darunter das berühmte »Prinzip Gregor«, die Selbstgenügsamkeitstheorie des Jahrtausendanfangs, die sich aus Verarmungs- und Versagensangst speiste und, wie JULI ZEH auf ihrer Website zugibt, sich längst überholt hat.

 

Auf dem Sofa_09



Tagebuch meiner Lektüren
September 2009

 


Heute hat der chinesische Dichter, Essayist und Romanautor GU CHENG Geburtstag, das heißt er könnte seinen 53. feiern, wenn er sich nicht 1993, nachdem er auf seine Frau Xie Ye mit einer Axt losgegangen war (sie erlag ihren Verletzungen im Krankenhaus), erhängt hätte.
Kennt da draußen jemand GU CHENG?

 

Auf dem Sofa_10



Tagebuch meiner Lektüren
Oktober 2009

 


Oh je, jetzt ist auch der Oktober schon fast zu Ende, und es haben nicht gerade viele Bücher aufs Sofa gefunden, na ja, das ist nicht wahr, die ganze Sofalehne liegt voller Bücher (in Stapeln!), und gelesen habe ich auch – aber das Drüber-Schreiben, nicht nur so lala und ohne Saft und also Witz und Treffsicherheit, dazu muss ich ja vom Sofa aufstehen, und das fiel mir in den letzten Wochen ein bisschen schwer, angesichts von FOUCAULTs Vorlesungen mit dem wunderbaren Titel DIE REGIERUNG DES SELBST UND DER ANDEREN (Suhrkamp) und des neuen Gedichtbands von MAYRÖCKER: DIESES JÄCKCHEN (NÄMLICH) DES VOGEL GREIF (Suhrkamp),
 

Auf dem Sofa_11



Tagebuch meiner Lektüren
November 2009

 


GERTRUDE STEIN: MEXIKO UND ANDERE STÜCKE (Luchterhand) – las ich im Frühjahr in meinem Romanklausurquartier und erwarb das Büchlein nun selbst am Sonntagnachmittag, 1. November, auf dem Flohmarkt – warum? Weil es Autoren gibt, deren Werke man möglichst vollständig haben will, auch wenn einem gar nicht alles gefällt. Weil der Umschlag so schön ist – pinkfarben, mit einem graublauen Foto von STEIN, auf dem sie aussieht, als träte sie im Zirkus als Clown auf, nur die rote Nase fehlt.
 

Was fühle ich heute. Ich fühle dass ich wohl weiß wie eine Frau zu lüften sei.
Du meinst dass ich es zu kalt mache. Nun gut um sicher zu sein ich bin selbstsüchtig ich sitze vor dem Feuer. Ich sollte dir wirklich den besten Platz geben nur möchte ich nicht gerne wechseln.
Du Liebes du bist so süß zu mir.

 

Ubbelohde



April, Mai, Juni 2023

Stipendium im Ubbelohde-Haus in Lahntal-Goßfelden

 

 

Vom 1. April bis zum 30. Juni war ich Stipendiatin im Otto-Ubbelohde-Haus in Lahntal-Goßfelden. Das Haus liegt, umgeben von einem großen Garten, inmitten der Lahnauen, mit Blick auf Goldberg, Rickshell, Kalk- und Eisenberg und den Burgwald. Der Lahn-Radweg Richtung Lahnquelle (stromaufwärts) und Marburg (stromab) führt fast direkt am Haus vorbei. Bis Marburg sind es nur zwölf Kilometer. Das geht sich auch mal zu Fuß. 

 

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