Ersonnenes mit dichtem Wahrheitsgehalt
Podcast-Lesung mit Bettina Hartz aus ihrem Roman »Rot ist der höchste Ernst«
»Und da, ganz plötzlich, kam es, kam es über mich, die Stimmen wie ein leiser Wind, der mich ergriff, das Licht durchsichtig und voller Geheimnis, die Schatten tief, von lockender Schwärze. Die Verwandlung begann. Ich war in einen Traum versponnen. Ich ging über Dächer, sah in den Mond. Ich flog. Und da war ein Satz und ein zweiter, und ich nahm Stift und Papier und schrieb, aber es hörte nicht auf, und ich setzte mich an den Tisch und sah aufs Papier, sah es kaum, denn ich schrieb, schrieb wie getrieben, schrieb immerzu, wo ich saß und stand.« (ROT IST DER HÖCHSTE ERNST, Seite 62)
Wer schreibt, blickt unverwandt in sich und lässt etwas erstehen, das – sobald es sich in ein Sprachkunstwerk verwandelt – das Mark hat, zu überdauern. Ersonnene Geschichten, so »dicht« an Wahrheitsgehalt, dass sie das wahre Leben übertreffen. Den Hintergrund von Bettina Hartz’ Roman bilden die Balkankriege in Kroatien und Serbien (1991–1995). Milena, die weibliche Hauptfigur und Erzählerin, ist aus Ex-Jugoslawien nach Berlin geflohen. Die Protagonistin – sie ist Schriftstellerin – erfindet sich einen fiktiven Gefährten, Dialogpartner und Geliebten: Hans. Über diesen imaginativen Prozess ist Milena zunehmend imstande, sich von den erlittenen Kriegstraumata freizuschreiben. Ihr Triumph: »[…] denn wenn auch der Sonnenstrahl weitergezogen, das Papier verloren, das Krachen des Schusses verklungen war, das Feld verbrannt, der Schrei verstummt, der Satz blieb und in dem Satz meine untergegangene Welt, ich selbst.« (ROT IST DER HÖCHSTE ERNST, Seite 65)