ROT bei Philipp Schaeffer

19.04.2024

ROT bei Philipp SchaefferEin Gang in die Bibliothek

... in dem Band »Anna Seghers. Eine Biographie in Bildern« einen langen Auszug aus Seghers’ »Erinnerungen an Philipp Schaeffer«, der mir diesen Menschen ins Herz rückte. 

»Jetzt liest und hört man oft von Philipp Schaeffer, dem Sinologen in der Schulze-Boysen-Gruppe. Sein Mut, seine Unbeirrbarkeit, seine erste und zweite Verhaftung. Seine Enthauptung.
Ein französischer Dichter schreibt: ›Laßt das Frohe, das Sonderbare nicht aus, wenn ihr ein Heldenleben beschreiben wollt, damit es uns naherückt, uns Unheldischen.‹
Schaeffer und ich, wir lernten uns kennen in dem Sinologischen Institut der Universität Heidelberg. Sein Talent für ostasiatische Sprachen kam mir erstaunlich vor. Mein eigenes Fach war Kunstgeschichte, besonders, zu jener Zeit, ostasiatische. Ich glaubte, ich könnte schnell lernen, die Inschriften auf alten chinesischen Bildwerken zu entziffern. So wurden wir Studienfreunde. 
Es war in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Besatzung. Inflation. Das Essen auf der Mensa war mager und schlecht für jeden Studenten. Das Geld, das die Familien schickten, war, bis es ankam, Papiermillionen und nichts mehr wert. Schaeffer hatte keine Familie, die ihm etwas schickte. Er war interniert gewesen im Krieg in Rußland, mit seinem Vater, einem deutschen Beamten in Petersburg. Jetzt ging er in den Steinbruch arbeiten, um für sein Sprachstudium Geld zu verdienen. Vor einem Fest legte er stundenlang die zerschundenen Hände in warmes Seifenwasser. Er blieb aber immer aufgelegt zu Festen. Er war immer gleichmütig, gut gestimmt. 
Ich höre den baltischen Tonfall seiner Stimme, wenn er, halb sich selbst, halb für mich, aus einem chinesischen Text zitierte (...)
So ausgehungert war Schaeffer, daß ich ihn zu meinen Eltern schickte, um ihn herauszufuttern. Abends in ihrer Wohnung erzählte er ihnen hundert Geschichten von seinen Reisen und seinen Berufen. Auch Schiffsjunge war er gewesen. Einmal kam das Hausmädchen schreiend gerannt. ›Er ist über und über tätowiert!‹
Ich studierte zwischendurch in Köln, und ich lernte dort am Ostasiatischen Museum. Köln war damals englisch besetzt. Es war schwer gewesen, ein Zimmer zu finden, ich nahm, was ich fand, obwohl es dunkel und schmutzig war. Einmal schrieb ich Schaeffer: ›Ich hab hier Angst.‹ Plötzlich kam er mit einem Revolver, den ihm ein Freund geliehen hatte. Ich war aber weder von Räubern noch von Soldaten bedroht – die Wohnung wimmelte von Mäusen. ›Also, dann kein Revolver, sondern Kamille und Sägespäne in jedes Mauseloch. Das hassen die Mäuse.‹ Schaeffer verstand sich auch darauf.
Sorglos, offenherzig waren wir damals. Wie waren wir bereit, uns zu freuen! Wir fanden immer etwas zum Freuen, trotz der bedrohlichen Zeit, trotz aller Bedrängungen.
In schönen chinesischen Schriftzeichen schrieb mir Schaeffer als Geschenk zum Doktorat eins meiner Lieblingsmärchen auf Seidenpapier. ›Das Wandbild‹. Es ist einer alten chinesischen Märchensammlung entnommen.
Die Sammlung heißt ›Liao-Chai-Chih-I‹ – (›Wunderbare Geschichten aus der Studierstube ,Zuflucht‛‹) (...)
Ich war beim Studium bald bekanntgeworden mit Emigranten, die nach der blutigen Reaktion und Verfolgung in ihren Ländern das Studium in Deutschland beendeten. Sie öffneten mir die Augen für viele politische Vorgänge, für den Klassenkampf.
Mit unseren Familien waren wir, sowohl Schaeffer wie ich, nach Berlin gezogen. Wir sahen uns manchmal – an seine Wohnung kann ich mich nicht mehr erinnern. Auch nicht, wann er seine Stellung als Bibliothekar fand. Die Arbeitslosigkeit war eine Seuche. SA und SS waren einmal verboten, dann wieder tauchten braune und schwarze Flecke in der Bevölkerung auf. Der Machtantritt Hitlers, das Naziregime setzte ein mit dem Reichtstagsbrand – und Dimitroffs Rede vor dem Reichsgericht.
Da man in unruhigen Zeiten manchmal nicht weiß, ob ein Zusammensein das letzte ist, nahm ich keinen Abschied von Schaeffer. In der Emigration erhielt ich einen Brief von einem Gefängnispfarrer aus dem Zuchthaus Luckau. Er bat mich, ihm mein chinesisches Wörterbuch zu schicken, der Gefangene Philipp Schaeffer würde sich damit freuen, und es könnte sein Leben erleichtern. Schaeffer war 1935 zu fünf Jahren verurteilt worden wegen Vorbereitung zum Hochverrat.
Ich hörte kein Wort mehr, weder von dem Pfarrer noch von Schaeffer selbst. Auf vuielen Umwegen fuhren wir später nach Mexiko. Als ich nach dem Ende des Krieges nach Berlin zurückkam, war ich so gut wie überzeugt, Schaeffer schnell zu finden. Mich leitete eine Gewißheit, eine sinnlose, wie ich bald merkte, Philipp Schaeffer würde mir beistehen in dieser zertrümmerten Stadt, unter ihren verwirrten Menschen. Ich fand aber nirgends seine Spur.
Zufällig erzählte mir eines Tages Günther Weisenborn von dem Schulze-Boysen-Harnack-Prozeß. Ich fragte ihn aufs Geratewohl nach Philipp Schaeffer. Da erfuhr ich, die Nazis hatten ihn enthauptet.«


aus: Anna Seghers: Erinnerungen an Philipp Schaeffer, 1975. 

 

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