Nebelhörner im Gras


Veröffentlicht in oda  Ort der Augen Nr. 1, 2010

 

Nebelhörner im GrasErzählung


Die Stille zerbricht. Es wird heiß. Dann schwül.

Nackte Zehen im Sand, Beine, Bäuche. Das Wasser schwappt träge, nippt am Ufer.

Hinter den Umkleidekabinen ist Bier verkippt. Glassplitter liegen verstreut. Glitzern. Die nackten Füße in den Schlappen machen einen kleinen Umweg, treten die verbrannte Rasenkante ab.

– Jetzt geh schon, wisch’s auf.

Er nimmt das angewinkelte Bein von der Wand, löst sich aus dem Schatten des Kassenhäuschens. Er geht zum Schuppen, holt Schaufel und Besen, fegt die Scherben zusammen. Seine Turnschuhe schmatzen auf dem klebrigen Boden. Nicht nur Bier also, auch Cola.

Ein Steinchen trifft ihn zwischen den Schulterblättern, er reagiert nicht, fegt die Scherben auf die Schaufel. Wieder. Ein zweiter Stein trifft ihn am Kopf. Ein kurzer feiner spitzer Schmerz. Mit einem Ruck löst er die Schaufel vom Boden, das Metall kratzt über die Betonplatten, er richtet sich auf. Ein weiterer Stein verfehlt ihn, rollt vor seine Füße, er fegt ihn mit einer schnellen Bewegung auf, geht zum Mülleimer, lässt den Schaufelinhalt hineinrutschen. Er bringt Schaufel und Besen zurück in den Schuppen.

Als er wieder im Dämmerlicht steht, den Fuß ankern lassen will an der Wand:

– Hast du auch den Fleck weggemacht?

Er gibt der Tür einen Tritt, dass sie in ihrer Verankerung vibriert, holt einen Eimer aus dem Schuppen, den Schrubber, lässt draußen aus dem Hahn Wasser in den Eimer. In seinem Rücken Gelächter. Vielleicht galt es gar nicht ihm.

– Das will ich nicht noch mal sehen. Schämst dich, was? Ja, arbeiten ist uncool. Willst rumhängen wie die anderen. Das ist cool. Und noch dafür Geld kriegen. Ich krieg’s aber auch nicht geschenkt.

Der Chef stellt sich neben ihn, raucht. Ein kleiner, bulliger Kerl, Stiernacken, geschorener Schädel. Er sieht ihn kurz an, dann zur Seite, auf die Erde. Er bückt sich, nimmt den Eimer, das Wasser schwappt, geht zu der klebrigen Pfütze, gießt die Hälfte des Wassers darauf, schrubbt, gießt den Rest des Wassers aus, schrubbt die Wasserdelle den halben Weg entlang, verbissen, die nackten Beine müssen ihm ausweichen, er schwitzt.

Er ist zu jung für den Job. Mit zwanzig wäre er okay, mit fünfzehn ist er lächerlich.

Er schwimmt ruhig seine vierzig Bahnen. Es dämmert schon. Es war viel Müll einzusammeln, etliche Häufchen zu beseitigen, obwohl genug Toiletten da sind, einigermaßen saubere sogar. Die Kondome hat er ins Gebüsch gefeuert. Aufregung für die Kleinen, wenn sie nach ihrem Ball suchen, sollen sie doch. Der Himmel graublau jetzt. Das Wasser silbrig, darauf die langen Schatten der Bäume. Er taucht unter. Noch fünf Wochen und drei Tage.

Maja hat nicht auf ihn gewartet. Er ist zehn Minuten zu spät, und sie ist schon drinnen oder weg, wer weiß mit wem, wenn sie überhaupt da war. Er zieht sein Handy aus der Tasche, schiebt es wieder zurück. Er hätte Lust, die Glaskästen mit den Filmplakaten einzuschlagen. Mit einer Bierflasche. Mit den bloßen Fäusten.

Er geht los, quer über die Straße, an den aufgebrezelten, augenaufschlagenden, -zuschlagenden Fassaden entlang.

Drei Typen kommen ihm entgegen, er kennt sie, dreht ab, taucht in den Park, rennt in der plötzlichen Dunkelheit fast in einen Hund, der Besitzer zerrt an der Leine. Er will gar nicht durch den Park, findet jetzt aber nicht gleich den Weg hinaus, er geht schneller, nimmt die Hände aus den Taschen. Der Hauptweg mit den Laternen, das ist noch weniger auszuhalten, hinter der nächsten biegt er auf die große Wiese, bleibt stehen. Ihm ist speiübel, als hätte ihm jemand in den Magen getreten. Er geht in die Knie, würgt. Außer einem bisschen Speichel kommt nichts. Er versucht, ruhig zu atmen, richtet den Oberkörper auf, hebt den Kopf, da ist nichts, kein Geräusch, kein Geruch. Nach dem Schweißausbruch wird ihm nun eiskalt.

Er wischt sich übers Gesicht, denkt kurz an Maja, steht auf und geht rasch bis zum Ende der Wiese, überquert den Kiesweg, zwängt sich durch die Büsche, steht an einer Straße, Auto um Auto rast vorbei. Er steht und wartet. In der Ferne Sirenengeheul. Er könnte einen Schritt machen und den Autos vor den Kühler treten. Vorbei. Eine Lücke, er geht provozierend langsam, der nächste tritt auf die Bremse, hupt, schreit ihm hinterher, er stellt seine Ohren auf Durchzug, er hat jetzt Feierabend, rennt plötzlich los, erwischt den Bus noch, springt durch die sich gerade schließende Tür, lässt sich auf eine freie Zweierbank fallen. Der Bus klappert die halbe Stadt ab, es ist schon nach Mitternacht, als er an der Endhaltestelle aussteigt. Er hat Hunger und Durst, gleichzeitig ist ihm schlecht, er weiß nicht, wieso, vielleicht weil er so müde ist, aber er geht nicht irgendwo was essen, legt sich nicht irgendwo hin, er läuft durch dunkle Straßen, er hat keine Ahnung, wo er ist. Ab und an ein Radfahrer, ein Auto, ein Fußgänger. Pärchen im Hauseingang.

 

– Was aber, wenn ich nicht mehr zurückkomme?

Maja schweigt. Sie nimmt einen Schluck, sieht aus dem Fenster, dann zu ihm.

– Jetzt kann ich’s dir ja sagen. Wenn du sowieso weggehst. Ich gehe mit einem andern. Schon eine Zeit.

Er schluckt. Er sieht sie nicht an. Umständlich zieht er Geld aus der Hosentasche, legt es auf den Tisch.

Er könnte vornüber in einen Fluss kippen.

Ein schöner Strudel in seinem Rücken. Die Steine nah beieinander im Sand.

Er hat sie nicht gefragt: Mit wem? Seit wann? Warum?

Warumwarumwarum.

Vielleicht ist es ohne Antwort eine Kleinigkeit leichter.

Er sitzt in der Küche und löffelt langsam alles Essbare in sich hinein. Dann geht er ins Bad, kotzt, setzt sich wieder hin, isst weiter. Als seine Mutter ihn fragt, was los sei, geht er in sein Zimmer. Die Mutter lauscht. Kein Geräusch.

Seit sechs Jahren ist er nicht herausgekommen. Heute ist sein einundzwanzigster Geburtstag.

 

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