Philippe Muray »Céline«

04.10.2012

Philippe Muray »Céline«Rezension

Werkgenetische Isolierung

Widerrede. Céline war ein herausragender Schriftsteller – und Antisemit. Daran lässt sich nichts beschönigen, auch wenn Philippe Muray das versucht

 

»Louis-Ferdinand Céline ist einer der problematischsten Fälle der französischen Literatur: An ihm diskutieren unsere europäischen Nachbarn seit Jahrzehnten die Frage, ob ein Schriftsteller nach rein ästhetischen Kriterien beurteilt werden sollte, oder auch nach seinem Charakter, seiner Lebensführung und den von ihm geäußerten Ansichten. Die Frage also nach Leben und Kunst, Ästhetik und Moral.

(...)

Muray immerhin bemüht sich darum, einmal den ganzen Céline in den Blick zu bekommen. Für ihn gibt es nicht drei Célines – den guten Schriftsteller, den bösen Pamphletisten und schließlich den Menschen –, sondern nur einen, ungeteilt. Der Bruch verläuft für Muray nicht innerhalb Célines, sondern zwischen Céline und allen und allem anderen. Ausgenommen von der Célinschen Negation sei allein das Schreiben, das es ihm erlaube, von dem Empfinden zu sprechen, dass der Krieg nie aufhört, und von der Angst vor dem Sterben, das immer weitergeht und in dem jeder total allein ist. Céline habe zwar überlebt, schreibt Muray, gleichwohl habe der Krieg, der vom Frieden ununterscheidbar geworden sei und unaufhaltbar auf einen neuen Krieg zusteuere, ihn in das Lager der Toten katapultiert. Céline schreibe von der ›anderen Seite des Lebens‹, von jenseits des Todes. Seine Literatur verkörpere die Grunderfahrung des 20. Jahrhunderts: die totale Zerstörung.«

 

Der Freitag Nr. 40, 4. Oktober 2012, Literatur Seite 18

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