Jun’ichiro Tanizaki »Lob der Meisterschaft«

28.11.2010

Jun’ichiro Tanizaki »Lob der Meisterschaft«Rezension

Zen und die Kunst, still zu sein


Der japanische Versuch, das Wesen der Schönheit zu bestimmen, ist ein Umkreisen der Vergänglichkeit. Große Aufmerksamkeit wird den einfachen Dingen und Erscheinungen geschenkt, die immer wiederkehren, wenn auch immer etwas anders, den Jahreszeiten, Witterungsverhältnissen, Lichtstimmungen, dem Blühen und Welken. Man könnte sagen, es sei eine florale Ästhetik, eine Ästhetik, die aus dem Wissen um Werden und Vergehen aller Schönheit kommt. Sie ist ein Weg, nicht ein Sein.

Der japanische Schriftsteller Jun’ichiro Tanizaki, 1886 in Nihombashi bei Tokio als Sprössling einer alteingesessenen Kaufmannsfamilie geboren, fiel schon als Schüler durch seinen eleganten Stil auf. Er studierte an der Kaiserlichen Universität in Tokio englische und japanische Literatur und begann mit dem Schreiben von Erzählungen. Berühmt geworden, auch in Europa, ist sein Essay »Lob des Schattens« (1933), der Versuch einer japanischen Ästhetik. Nun wird erstmals auch sein »Lob der Meisterschaft« in einer Übersetzung des Japanologen Eduard Klopfenstein publiziert, in einer dem Thema angemessenen schlicht bibliophilen Ausstattung.

Tanizaki versucht darin zu bestimmen, indem er von der traditionellen japanischen Schauspielkunst, vor allem der des Kabuki-Theaters, ausgeht, worin Meisterschaft besteht. Neben der unaufhörlichen Übung liegt sie für ihn in der Hinwendung zum Simpelsten und Alltäglichen – Brillanz des Darstellers ist da nicht erwünscht, im Gegenteil: »Es mag sogar vorkommen, dass er wider Erwarten unbeholfen wirkt, weil er seine Meisterschaft möglichst im Verborgenen anzureichern sucht.«

Mit Natürlichkeit sollte man das nicht verwechseln. Es ist vielmehr ein Raffinement, das an Kleists Aufsatz »Über das Marionettentheater« erinnert – eine natürliche Anmut, die sich wieder einstellt, nachdem sie durch ein Unendliches gegangen ist. Das gelingt nur, wenn der Meister in voller Übereinstimmung mit dem Augenblick handelt. Seine Kunst ist nichts, was er beherrschen könnte. Hier ist Tanizakis Ästhetik ganz Zen – das Gemachtsein, der Weg wird ausgestellt, nicht das Fertige.

Tanizaki formuliert diese Gedanken dabei immer mit Blick auf das fremd-faszinierende Gegenüber, die westliche Kunst. Im Bereich des Schauspiels ist das der Stummfilm, insbesondere der deutsche, bei dessen Darstellern, den von ihm hochgeschätzten Paul Wegener, Emil Jannings, Werner Krauß, er dieselben Prinzipien wirken sieht. Nicht eine Ästhetik des Schocks, der äußerlichen Effekte, sondern der graduellen Abstufungen, der Übergänge, der Modulationen – sie erst erzeugen die Präsenz, die er bei ihnen ebenso wie bei den Kabuki-Darstellern bewundert.

Im amerikanischen Film, vor allem bei Chaplin, und dann in der Literatur, der Kunst, der westlichen wie der jungen japanischen, sieht er die Tradition im Verschwinden. Zu sehr auf Erfolg aus seien die Künstler, zu verliebt ins Virtuosentum. Sie behaupten eine Meisterschaft, ohne sie durch Kenntnis der Tradition und Übung erworben zu haben. Sie verderben sie durch Effekthascherei. Für Tanizaki ist die Tradition Maßstab für die künstlerische Leistung, nicht aber der Wille, um jeden Preis etwas Neues zu schaffen. Das ist konservativ, aber wie jeder Konservativismus hat dieses Programm auch etwas Progressives. Tanizaki bezweifelt, dass eine Kunst, die sich den Bruch mit allen Traditionen auf die Fahnen schreibt, Bestand haben wird. Stattdessen wirbt er für eine Wiederbesinnung, eine Art Kunst-Zen: die Gedanken von der Wirklichkeit lösen, in die Welt der Stille eintauchen.


Jun’ichiro Tanizaki: »Lob der Meisterschaft«. Aus dem Japanischen von Eduard Klopfenstein. Manesse, 144 Seiten, 14,95 Euro

FAS Nr. 47, 28. November 2010, Feuilleton Extra Seite B11

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