»Rügen – Insel der Romantiker«

14.11.2010

»Rügen – Insel der Romantiker«Ein Text für die FAS-Reise

Gib mir dir Molen
Rügen, ein Herbstmärchen: Auf der Insel der Romantiker

Tagsüber, während der Streifzüge am Bodden, am Strand oder den Saum der Steilküste entlang, wird man vom Wind durchgepustet – und licht- und lufthungrig, wie man aus der Stadt gekommen ist, hat man endlich Raum zum Atmen und Armeschlenkern. Die Augen werden weiteverwöhnt, die Ohren sind vom Knistern des Schilfes, vom Rauschen der Wellen voll, in der Nase hat man den Duft der Kiefernwälder, der Wildrosenhecken, der Trockengräser.

Das Mönchgut, dieser Zipfel im Südosten von Rügen, vereint auf nur 28 Quadratkilometern fast alle Landschaftsformen der großen Ostseeinsel: feinen Sandstrand und steinige Steilküsten, flache Boddengewässer mit meterhohem, gelborange leuchtendem Schilf, sanft ansteigende, grasbewachsene Hügel und kleine blitzblaue Seen. Für die landwirtschaftliche Nutzung ist das Mönchgut ungeeignet, zu karg sind die Böden, das Klima steppenartig trocken, die Küste in ständiger Bewegung. Vielleicht wurde die Halbinsel deshalb den Zisterziensern des Klosters Eldena bei Greifswald zur Kultivierung überlassen. Von 1360 bis 1535 bewirtschafteten sie das »Mönke Gut«, bis die Reformation dem Klosterleben ein Ende setzte. Doch durch den Mönchgraben, eine Landwehr zwischen den Ostseebädern Baabe und Sellin, war es auch weiterhin vom Rest der Insel getrennt, wodurch die Eigenart der Halbinsel bis heute bewahrt blieb.

Wenn man in dieser kargen Heidelandschaft den Deich entlanggeht, Sanddornsträucher, windgezauste Bäume, Schafe um sich, über sich den riesigen Himmel, kommen einem Gedichte in den Sinn, von Goethe etwa oder von den Romantikern, Naturgedichte mit Wörtern wie »Morgenrot« und »Mondenschein« und »Himmelsschloszen«, denn natürlich schüttet es hier auch mal ordentlich, meist dann, wenn man gerade auf dem Deich ist – und kein Baum, kein Strauch weit und breit, wo man ein wenig Schutz fände. Es bleibt einem nichts, als sich gegen den Wind zu stemmen, während einem das Regenwasser in den Kragen und die Schuhe läuft, deren Sohlen im Gras quietschen. Und die Verse von Wilhelm Müller vor sich hin zu murmeln: »Verdammte lange schmale Heide! / Zu beiden Seiten brummt das Meer. / Versteckt in einem Aschenkleide, / Senkt sich der Himmel tief und schwer.«

Überhaupt ist diese Landschaft wunderbar geeignet, um beim Gehen alle Gedichte zu rezitieren, die man noch auswendig weiß. Zum Beispiel, wenn man bei dünnem Nebel oder jagenden Wolken zwischen den Zicker Bergen steht, den einen Hügel grell beleuchtet sieht, den anderen tief im Schatten, und prophezeit: »Macbeth wird nie besiegt, bis einst hinan / Der große Birnams Wald zum Dunsinan / Feindlich emporsteigt«. Die Hügel hinter Groß Zicker erinnern an die Shakespearsche Tragödienlandschaft: »Macbeth«, »König Lear«, »Richard III.«, das will man hier, zwischen dem kleinen, in die Senke geduckten Dorf und dem steilen Zickerschen Höft sofort aufführen.

Denn auch ein Jagdschloss gibt es hier, ein Stück weiter im Norden liegt es, in der Granitz, diesem Buchenmischwald auf hohem, hochaktivem Steilufer. Schon von Ferne sieht man den 38 Meter hohen Mittelturm von Karl Friedrich Schinkel inmitten der Baumkronen leuchten. Dann ist man selbst im Wald, das Sonnenlicht bricht durch das herbstlich rote Laub der Buchen, dass alles strahlt, auch die Wanderer, die einem entgegenkommen, jeder grüßt freundlich, mit dem Mund oder auch nur mit den Augen. Und von Ferne hört man immer mal den Rasenden Roland pfeifen, die Schmalspurdampfbahn, die das Mönchgut mit den Ostseebädern Sellin und Binz sowie dem klassizistischen Residenzstädtchen des Malte von Putbus verbindet. Und schon hat man den 107 Meter hohen Tempelberg mit dem Schloss, das eben dieser Fürst Malte zwischen 1838 und 1846 im Stil eines norditalienischen Renaissancekastells erbauen ließ, erreicht, steigt die 154 gusseisernen Stufen der freitragende Wendeltreppe hinauf – steht auf der Aussichtsplattform und hat die Insel, das Meer zu seinen Füßen.

Der Wind pfeift. Trotz Mütze und noch darübergestülpter Kapuze wird es empfindlich kalt, also geht es die Stufen wieder hinab, und nun durchstreift man die Gemächer des Schlosses und findet dort die Erfüllung eines Traums: Es ist mehr als das Gewünschte, nicht nur romantische Naturlyrik, sondern eine ganze kleine Ausstellung zu den Romantikern, den Dichtern und Malern, den Philosophen und Theologen, die hier, auf Rügen, herumstiefelten, zeichneten und schrieben und sich in Pfarrerswitwen verliebten.

Da gibt es Tafeln zu ihrem Geschichtsbild, ihrem Naturverständnis, ihrer Auffassung von der Religion – und natürlich zu ihren Eindrücken von dieser grandiosen Landschaft, von der sie in ihren Briefen schwärmten, die sie bedichtet und immer wieder gemalt und gezeichnet haben. Allen voran Caspar David Friedrich, der in seinen Gemälden geradezu einen Mythos der Insel schuf und dem sie alle folgten: Carl Gustav Carus und Friedrich Preller d.Ä., Karl Friedrich Schinkel und Carl Blechen (der auf einer entzückenden Skizze mit zerbeultem Hut im Grase sitzt). Und die Betrachtung der Friedrichschen Zeichnungen, der Skizzen von Blechen führt zu einer Verwandlung der eigenen Wahrnehmung. Dominierte zuvor ein eher impressionistisches Farbflächensehen den Blick auf die Landschaft, so tritt nun ihr Skelett hervor: Die Linien, die den Raum gliedern, die Horizontalen des Meeres und des Himmels werden von den Vertikalen der Steilküsten, den Loten der Schiffsmaste und den an tibetische Gebetsfahnen erinnernden Bojenflaggen der Fischernetze, den Kirch- und Leuchttürmen kontrapunktiert.

Und mit den Romantikergedanken und -bildern im Kopf und vor Augen geht man von nun an ganz anders umher, durch den Buchenwald, am abendrotglühenden Schilf und tiefblauen Wasser entlang – ein merkwürdiger Zustand ist das, noch während man geht und alles vor Augen hat, hat man bereits Sehnsucht danach! Am Bodden fehlt einem das offene Meer, und geht man am wilden Ufer, sehnt man sich nach dem Frieden der windstillen Buchten. Das Mönchgut ist eine Landschaft, die eine nie gekannte Sehnsucht nach sich selbst weckt, nach ihrem immer anderen Aussehen bei jedem Schritt, in Regen und Sturm, im Licht der aufgehenden Sonne und im Abendrot, von dünnem Reif überzogen im erstem Frost und im Frühling, wenn die Wiesen blumenübersät sind und die Luft den Duft der wilden Apfelbaumblüten ausströmt.

Am Abend, fast schon zur Nacht, kommen die Sterne, ein Sternenhimmel, wie man ihn in der Stadt nie sieht. Da steht man lange am Meer und wartet auf den Mond, der doch nun bald über dem Wasser aufgehen muss.


Anreise Mit dem Zug bis Bergen oder Binz, von dort gibt es Busse überallhin, auch mit Anhängern für Fahrräder. Mit dem Auto über die Rügenbrücke und die B96 Richtung Bergen, dann über die B196 nach Middelhagen; von dort sind alle Orte ausgeschildert.

Der Rasende Roland, ein Dampfzug mit Fahrzeugen aus der Zeit um 1900, verbindet die Halbinsel Mönchgut mit den Ostseebädern Sellin und Binz, der Granitz sowie der ehemaligen Residenzstadt Putbus. Die Kleinbahn verkehrt bis ins Ostseebad Göhren und hält auch im Ostseebad Baabe.

Jagdschloss Granitz Mai bis September: täglich 9–18 Uhr, Oktober bis April: Di–So 10–16 Uhr.

Literatur Reinhard Piechocki: »Romantiker auf Rügen, Hiddensee und Vilm«. Rügen-Druck 2005, 64 Seiten, 10 Euro, zu bestellen unter 038301/61897 oder bei Katrin Eigenfeld-Piechocki, OT Kasnevitz, Dorfstraße 37 a, 18581 Putbus auf Rügen. Herrmann Zschoche: »Caspar David Friedrichs Rügen – Eine Spurensuche«. Verlag der Kunst 2007, 120 Seiten, 14,95 Euro.

Ausstellung In Dresden sind in der Ausstellung »Carl Gustav Carus – Natur und Idee« des Kupferstichkabinetts und der Galerie Neue Meister noch bis zum 20. 9. auch Rügenbilder zu sehen. Vom 9. 10. 2009 bis 10. 1. 2010 wird die Ausstellung in der Alten Nationalgalerie in Berlin gezeigt.

Weitere Informationen zum Mönchgut unter www.ruegen-guide.de/das_moenchgut.php, www.ruegen-hiddensee.de/halbinsel-moenchgut, zu den Mönchguter Museen unter www.moenchguter-museen-ruegen.de


FAS Nr. 45, 14. November 2010, Reise V7

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