Für den Tisch
»Olo« heißt das Kajak, mit dem der polnische Ingenieur Aleksander Doba über den Atlantik fährt. Dreimal, zwischen 2010 und 2017, wagt er die Reise: das erste Mal von Senegal nach Brasilien, das zweite Mal von Portugal nach Florida und das dritte Mal von New York nach Frankreich. 376 Tage und Nächte ist er auf dem Ozean unterwegs und legt mehr als 14.000 Meilen nur mit der Kraft seiner Muskeln zurück. In einer sieben Meter langen, 300 Kilogramm schweren schwimmenden, schaukelnden Spezialkonstruktion. Ganz allein.
Wie man ein solches Abenteuer angeht und besteht, davon erzählen Agatha Loth-Ignaciuk und Bartlomiej Ignaciuk in Text und Bild kenntnisreich und anschaulich. Dabei folgen sie einerseits chronologisch den Stationen der Reise, andererseits erklären sie die besonderen Schwierigkeiten, die Doba begegneten, angefangen beim Verstauen des Proviants und all der Dinge, die er unterwegs benötigte, bis hin zu der Frage, wie er geschlafen, Stürme überstanden, sich gewaschen und verpflegt hat, auf die Toilette gegangen ist, sich gegen Haie und andere unliebsame Besucher zur Wehr gesetzt, sich orientiert, fit gehalten und mit seiner Familie Kontakt gehalten hat. Dabei lernt man eine ganze Menge: über das Meer und seine Bewohner, lästige Insekten oder verspielte Delphine, über Meeresströmungen, Stürme und Unterwassergebirge, und auch, wie eine Wasserentsalzungsanlage funktioniert und was ein Treibanker ist. Vor allem aber kann man, je länger man liest und die Bilder anschaut, immer weniger fassen, dass ein Mensch das alles, körperlich und seelisch, allein bewältigt hat.
Die Zeichnungen von Bartlomiej Ignaciuk, schwarzweiß auf hellblauem Grund, erinnern manchmal an die feinen Radierungen, wie man sie aus alten Jules-Verne-Ausgaben und von populärwissenschaftlichen Zeitschriften des 19. Jahrhunderts kennt, manchmal an expressionistische Linolschnitte, die das Gefühl der Einsamkeit auf dem unendlich scheinenden nachtschwarzen Ozean vermitteln oder die Gefahr, die dem winzigen Boot zwischen haushoch sich auftürmenden Wellen droht. Der Wechsel der Perspektiven veranschaulicht in den technischen Skizzen nicht nur die Erklärungen des Textes, Nah- und Fernsicht verdeutlichen auch die riesigen oder winzigen Dimensionen, sie abstrahieren und lassen die »Olo«-Reisen des Aleksander Doba von einer konkreten Fahrt zu einer exemplarischen werden, die an die großen existentiellen, philosophischen Fragen rührt. Ein wundervolles Buch, in dem man immer wieder liest, schaut, sich verliert, wiederfindet und staunt.
Agatha Loth-Ignaciuk / Bartlomiej Ignaciuk: »14000 Meilen über das Meer. Mit dem Kajak über den Atlantik«. Gerstenberg, 88 Seiten, 16 Euro, ab zehn Jahren
FAS Nr. 11, 15. März 2020, Reise Seite 48