Wasser
Es gibt zwei Arten von Menschen: die Bergenthusiasten, die beim Anblick jedes Hügels ein Kribbeln in den Waden spüren. Und die Meerliebhaber, die es in die Tiefen des Ozeans zieht. Zu Letzteren gehört eindeutig Jonas. Schon als Zweijähriger lässt er sich aus dem Kinderwagen heraus ins Meer plumpsen, taucht mit den Fischen, schwimmt mit den Quallen und wiegt sich im Seegras. Nur Luft bekommt er unter Wasser nicht und muss daher schnellstens gerettet werden. Kaum an Land wird er von heftiger »Seesucht« geplagt, und seither baut und ertüftelt er immer waghalsigere Unterwasserkonstruktionen. Mit acht wagt Jonas sich mit einem Tauchglas hinab, mit achtzehn sitzt er in einem Schnorchelfass, mit dreißig schießt er mit einer Unterwasserrakete davon. Aber immer geht etwas schief und muss Jonas zurück an Land, es ist wirklich traurig. Aber dann, inzwischen ist Jonas ein alter Mann, kommt die Sturmnacht, auf die er immer gewartet hat, und in einem riesigen Wal geht Jonas auf große Unterwasserfahrt. Die Collage-Bilder, die Marlies van der Wel zu ihrer von einer Lebenssehnsucht getriebenen »Seesucht«-Geschichte geschaffen hat, sind streng, rauh, magisch-märchenhaft und in ihrer Sogkraft atemberaubend. Sie ziehen einen hinein in das Elementare, die Welt von Himmel, Sand und Meer, und durch das große Buchformat ist es wirklich, als würde man mit Jonas hinabtauchen in das faszinierende, in allen Nuancen leuchtende Blau und anfangen zu schwimmen.
Marlies van der Wel: »Seesucht«. Aus dem Niederländischen von Birgit Erdmann. Mixtvision, 80 Seiten, 20 Euro, ab drei Jahren
FAS Nr. 8, 28. Februar 2021, Feuilleton Seite 38