Ihr Plan war denkbar simpel, er erforderte weder große Vorbereitungen noch viel Zeit, und doch wurde sie an dem Ort, den sie neuerdings ihr Zuhause nannte, partout nicht mit ihm fertig. Ihre Angelegenheiten, praktische wie psychische, waren mittlerweile in einem Zustand, in dem M. sich um keine davon kümmern konnte, ohne erst alle anderen in eine minimale Ordnung zu bringen. Es ging nicht nur darum, sich sämtliche ausstehenden Aufträge und Verbindlichkeiten in Erinnerung zu rufen und sie im Kopf in die richtige Reihenfolge zu bringen. Es ging nicht nur darum, sich sämtliche ausstehenden Aufträge und Verbindlichkeiten in Erinnerung zu rufen und sie im Kopf in die richtige Reihenfolge zu bringen. M. hoffte, irgendwann im Lauf dieser Arbeit, oder spätestens am Ende, wenn die innere Tabelle fertig ausgefüllt und formatiert wäre, brächte sie ihr auch Klarheit einer anderen Größenordnung [...]: Sie wollte herausfinden, was sie jetzt war und was sie aus sich machen könnte – in was sie sich, wenn man so will, verwandeln sollte, denn ihr früheres Selbst konnte sie nicht mehr sein.
[...]
Eine Konstante gab es immerhin in ihrem neuen Leben: Sobald sie im Kopf nach Worten zu suchen begann, spürte sie im Mund eine halbtote Maus, die sich beim besten Willen nicht ausspucken ließ – sie zappelte zwischen den Zähnen, und M. konnte nur entweder die Kiefer aufeinanderpressen und sie krachend mittendurch beißen oder die Maus im Mund behalten und an nichts anderes als sie denken. Und so war die Schriftstellerin M. am Ende zu gar nichts Nützlichem mehr imstande; auch wenn sie sich mit jemandem unterhielt, musste sie gleichzeitig, die Hände in die Sessellehnen gekrallt, das stumme Quieken der Maus übertönen und gegen die aufsteigende Übelkeit ankämpfen. Ihre einzige Beschäftigung war die Lektüre von Frontberichten und Nachrichten, die von Tag zu Tag schlimmer wurden [...] zwischen Müll und Trümmern standen ausgebrannte Häuser und alte Frauen, die nicht mehr wussten, wohin, nur M. saß immer noch da wie zuvor.
In dem Haus am See redete sie sich oft stundenlang zu, endlich an die Arbeit zu gehen, doch dann kam jedes Mal, zu ihrer widerwilligen Erleichterung, eine Mail, die sie unmöglich [...] ignorieren konnte, oder das Telefon klingelte und sie musste ans andere Ende der Stadt fahren, um Freunde zu treffen, oder dort in der Ferne passierte irgendetwas Neues, und sie konnte nicht anders, als vorm Computer zu sitzen und wieder und wieder den Liveticker neu zu laden, bis ihr schwarz vor Augen wurde. Erst heute, in diesem stillen Waggon, aus dem sie nicht wegkonnte, würde sie sich zwingen, alles zu Ende zu denken, und beim Aussteigen würde sie spüren, dass die Fahrt sich gelohnt hatte.