Salka
Weihnachten 1943 teilt Gottfried Reinhardt Salka mit, dass er sich nach zehn Jahren von ihr trennen wird. Er hat sich in eine jüngere Frau verliebt und möchte eine Familie gründen. Salka vertraut die Nachricht nur ihrer engsten Familie an. Nach außen verströmt sie Champagnerlaune wie immer. Sie wird bald 54 Jahre alt und weiß: Eine Frau ihres Alters ohne Mann ist in den Vereinigten Staaten ein gesellschaftliches Nichts. Ein Objekt ohne Bedeutung, ohne Sex, ohne Relevanz, ohne Leben.
Sie nennt es fatigue, combat fatigue. Die Angst um ihre Söhne und all die Verwandten, Freunde und Bekannten in Europa belastet sie sehr. Sie schläft nicht mehr. Ist es denn richtig, dass sie einen amerikanischen Pass hat und am Leben ist, während es so vielen ihrer Liebsten schlecht geht? Sie spricht mit Brecht über ihre Gedanken. Spät in der Nacht schiebt er ihr einen Zettel mit einem Gedicht unter der Tür hindurch.
Ich weiß natürlich: Einzig durch Glück
Habe ich so viele Freunde überlebt. Aber heute
Nacht im Traum
Hörte ich diese Freunde von mir sagen:
»Die Stärkeren überleben.«
Und ich hasste mich.
Ursel Braun: Exil im Paradies. Von Marta Feuchtwanger bis Helene Weigel