Pier Paolo Pasolini zum 34. Todestag

01.11.2009

Pier Paolo Pasolini zum 34. TodestagWürdigung

Wo bleibt die Aura?
Ein Besuch an Pier Paolo Pasolinis Todesort


Es gibt ja Leute, wie den Maler und Schriftsteller Giuseppe Zigaina, die die Meinung vertreten, Pier Paolo Pasolini habe seinen Tod inszeniert – zunächst in seinen Büchern und Filmen, dann schließlich, in der Nacht vom 1. auf den 2. November 1975, auch in der Realität. Und wenn man sich die Umstände dieser so mit Bedeutung aufgeladenen Nacht von Allerheiligen auf Allerseelen vergegenwärtigt und die Fotos von dem übel zugerichteten Leichnam, der dann im Morgengrauen auf einem Fußballplatz in der Nähe des Wasserflughafens Idroscalo am Lido di Ostia gefunden wurde, anschaut, muss man schon zugeben, dass einen das alles doch sehr an »Accatone« und »Mamma Roma« erinnert, und es fallen einem Sätze wie die aus dem »Empirismo eretico« ein: »Dadurch, dass sie sich beständig exponieren«, enden »die Märtyrer-Regisseure durch eigene Entscheidung, indem sie schließlich bekommen, was sie aggressiv wollen: verletzt und getötet zu werden mit den Waffen, die sie selbst dem Feind anbieten« – und, angesichts der Stimmigkeit der Bilder und Worte, neigt man dazu, Pasolinis Leben und Sterben mit seinem Werk kurzzuschließen und ihm aus der Perspektive des Endes eine Folgerichtigkeit zuzuschreiben, die doch allein dadurch begründet ist, dass der Tod, dieser Tod, das, was zu ihm passt, grell beleuchtet, während das andere, das dieses Leben auch hatte, von seinem blutigen Schatten verschluckt wird.

Seit ein paar Jahren befindet sich an Pasolinis Todesort eine Gedenkstätte, eine von Maschendraht umzäunte Grünanlage mit Parkbänken und unförmigen, zitatgeschmückten Steinhaufen, die inmitten eines Kleinstbiotops mit im Schilf quakenden Fröschen liegt. Pilgerfahrten haben ja immer etwas Ambivalentes. Man hofft auf eine Übertragung der Aura, die von dem besuchten Ort ausgehen soll und von der man doch im Voraus weiß, dass sie sich unmöglich einfach so finden lässt, und steht dann dort, am so oft imagnierten Platz, schaut, geht ein paar Schritte, versucht, Vorgestelltes und Realität in Übereinstimmung zu bringen. Und muss die Enttäuschung, die sich im Grunde sofort eingestellt hatte, schließlich vor sich eingestehen. Wo Erwartung war, ist nun Leere, eine Leere aber, in die man, wenn man sie zulässt, wenn man sich ihr ergibt, hineingehen kann – und im glücklichsten Fall wird man dadurch frei für das, was ist, für das also, was dem Körper, dem Blick begegnet. Und so sieht man plötzlich, wie von der gegenüberliegenden Straßenseite, vom Schild der Bushaltestelle, das von Sonne und Regen ausgeblichene, rosa umhauchte Gesicht eines frocio herüberleuchtet. Und nur ein paar Schritte weiter, an der Mündung des Tiber, im Nebenan des Todesorts steht man plötzlich in einer Kulisse, von der man auch nicht glauben mag, dass sie bloßer Zufall sei und keine Inszenierung, so pasolinesk mutet sie an. Denn da sind die borgate, die illegalen Wohnungen des von ihm geliebten Subproletariats, da sind die bunten Madonnenfiguren, da ist die Bar, da ist der Bolzplatz mit den fußballspielenden ragazzi. Und das alles zerfurcht von Reifenspuren und überragt von Laternen und Pfählen, den Strommasten, die als Torpfosten dienen, wie von den Kreuzen eines neuen Golgatha. Und dahinter, dahinter breitet sich das Meer.


Die Ausstellung »Pier Paolo Pasolini – Wer ich bin« ist noch bis zum 22. 11. im Literaturhaus Berlin zu sehen. In diesem Jahr neu erschienen sind die 1959 für die Illustrierte »Successo« geschriebenen Reisereportagen »Die lange Straße aus Sand« (Edel- Verlag, 128 Seiten, 36 Euro) sowie eine Übersetzung der friulanischen Gedichte (»Dunckler Enthusiasmo«, übersetzt von Christian Filips, Sammlung Urs Engeler Editor, 322 Seiten, 28 Euro). Und auch die September-Ausgabe des »Schreibhefts« widmet sich der Lyrik Pasolinis: »Schreibheft – Zeitschrift für Literatur«, Nr. 73, hg. v. Norbert Wehr, 221 Seiten, 12 Euro.

FAS Nr. 44, 1. November 2009, Feuilleton Seite 30

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