Helen Wolff »Hintergrund für Liebe – Das Buch eines Sommers«

23.10.2020 Sprache/Meta

Helen Wolff »Hintergrund für Liebe – Das Buch eines Sommers«Rezension

Sonne, Wellen, Wind
Die berühmte Verlegerin Helen Wolff hat in jungen Jahren einen wundervollen Roman geschrieben, der jetzt endlich posthum erschienen ist


»Ich will leben, und Du willst Dich amüsieren«, schreibt die junge namenlos bleibende Ich-Erzählerin in Helen Wolffs Roman „Hintergrund für Liebe« auf einen Zettel, den sie ihrem Geliebten hinlegt, ehe sie verschwindet. Der Mann ist um einiges älter, bekannter, wohlhabender, dazu ein Frauenheld und prahlerisches Gesellschaftstier, sie eine junge lebenshungrige Großstadtgöre, die sich nicht vorführen und die Welt erklären lassen will.

Eigentlich wollten sie zusammen einen langen Sommer an der Côte d’Azur verbringen, aber schon nach wenigen Tagen ergreift sie die Flucht – weh vor Trennungsschmerz, denn sie liebt ihn ja, diesen Großsprech, ist aber trotzdem nicht bereit, ihre Träume unter seinen patriarchalen Pranken begraben zu sehen. Sie sucht und findet bei einer Bauernfamilie das abseits der Stadt am Meer gelegene Häuschen, das für wenig Geld einen langen Sommer lang zu mieten ist, sie richtet sich ein, ein Kätzchen läuft ihr zu und dann noch ein ebenfalls an der Mittelmeerküste sein Glück suchender Maler aus Berlin, ein Lebenskünstler und -genießer, der sie selbstlos mit Wort und Tat unterstützt, beglückt von ihrer erfolgreichen Emanzipation.

Wie im Märchen fügt sich alles, zu Wächter und Mittler und Häuschen, zu Sonne und Wind und Meer, einfachen, köstlichen Mahlzeiten, nächtlichen Gesprächen, Lebensgenuss, kommt noch ein Fischerball – und durch einen Zufall, wie es ihn nur selten im Leben gibt, tanzt da auch der Mann, dem die junge Frau weggelaufen ist. Mit einer anderen, die er sofort für sie sitzen lässt. Noch immer ziemlich laut und trampelig und bestimmend kehrt er zu ihr zurück, so leicht kann er sein seit vierzig Jahren getragenes Kostüm nicht abwerfen, aber er hat etwas verstanden, und er ist nicht feige, er wagt es, sich auf ihre Art zu leben einzulassen. Im Hier und Jetzt, dem Augenblick und was er bringt hingegeben.

Drei Seiten elegisches Sommerglück, in denen das Leben in die Haut beißt, die Sinne in der Sonne taumeln, die Haut braun wird, die Körper gesund und glatt und satt. Mehr schreibt Wolff nicht. Dann kommt schon der Abschied, und man weiß nicht, was die beiden erwartet, wenn sie zurück in Deutschland sind, im grauen Monat November. Es wird schwer werden, das ist klar. Aber wenn sie den gemeinsamen Sommer nicht vergessen, haben sie eine Zukunft, die es für sie erst jetzt gibt, da sie sich in einem Märchen kostbar geworden sind und unverwechselbar.

Helen Wolffs Sommermärchenroman, den ihre Großnichte Marion Detjen in Wolffs Nachlass auf dem Dachboden eines Steinhauses in den Bergen von Vermont entdeckt hat, ist eine kleine literarische Sensation. Erstens, weil niemand wusste, das Helen Wolff, die berühmte Verlegerin und Gattin von Kurt Wolff, den sie 1928 kennengelernt und 1933 geheiratet hatte, mit dem sie zunächst nach Frankreich, dann in die Vereinigten Staaten emigriert war, wo sie mit ihm zusammen den Verlag Pantheon Books aufbaute und zu einer der wichtigsten Vermittlerinnen der deutschen und europäischen Nachkriegsautor:innen in Amerika wurde, dass diese Helen Wolff selbst literarische Ambitionen hatte. Und zweitens, weil dieser Roman, wäre er gleich nach seiner Entstehung 1932/33 erschienen, sie wegen seiner Lebendigkeit, Schnoddrigkeit, sentimental angehauchten Nüchternheit, wegen seiner Figuren – die Entwurzelte sind, aber auch Emanzipierte, deutsch, emigrantisch, kosmopolitisch, auf der Flucht vor der finsteren, sich bereits ankündigenden Zeit –, sie berühmt gemacht hätte wie Erich Kästner, Gabriele Tergit und Irmgard Keun.

Aber der Roman konnte zu Lebzeiten nicht erscheinen. Nicht, weil Helen Wolff kurz nach seiner Niederschrift Deutschland verlassen musste, sondern weil es ein Schlüsselroman ist. Die sommerliche Geschichte lässt sich kaum anders als autobiographisch lesen, als Versuch einer literarischen Verarbeitung der Beziehungsanfänge zwischen den beiden ungleichen Größen Helene Mosel und Kurt Wolff, die, das hätten sie damals wohl selbst nicht geglaubt, schließlich dreißig Jahre miteinander verheiratet waren. Aber nicht nur die vielen Lebenswirklichkeiten, die in Form einer Ansprache, eines Briefes daherkommen, verhinderten den Druck, auch Helen Wolffs Selbstverständnis als Verlegerin. Sie wollte ganz für ihre Autorinnen und Autoren da sein und keine Vermischung der Rollen. Hatte sie in Deutschland, ja, noch im Exil in Frankreich eine literarische Karriere angestrebt, worauf die Tatsache hindeutet, dass sich neben dem Roman noch weitere, später entstandene Werke im Nachlass fanden, darunter zwei Theaterstücke, so hatte sie diese Ambitionen mit der Emigration nach Amerika aufgegeben. Sie musste eine neue Sprache lernen, sie musste einen neuen Verlag aufbauen – das kostete all ihre Kraft und Energie.

Und vielleicht wollte sie alle Erinnerungen an das in Europa Zurückgelassene, Träume und Wünsche, versiegeln wie den Umschlag, in dem sich die Jugendwerke fanden. »At my death, burn or throw away unread!«, stand darauf, und natürlich erinnert das an Franz Kafka und dessen Auftrag an Max Brod, alles, was sich an „Tagebüchern, Manuskripten, Briefen, fremden und eignen, Gezeichnetem und so weiter findet, restlos und ungelesen zu verbrennen“ – eine desto auffälligere Parallele, da ja Kurt Wolff der erste Verleger Kafkas gewesen war und sich, nach dessen Tod, über diese letzte Verfügung seines inzwischen weltberühmt gewordenen Autors hinweggesetzt hatte.

Ein Spiel? Ein Spiel Helen Wolffs mit ihren Nachlassverwaltern und Erben, mit dem literarischen Erbe des Verlags, der Literaturgeschichte, von der sie ein Teil war, durch ihren Mann und durch ihre eigene Arbeit als Verlegerin? Ganz sicher! Wie leicht hätte sie, die, wie Marion Detjen im Nachwort schreibt, bis zuletzt „im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte« war und alles wohlvorbereitet und geordnet hinterlassen hat, die Sachen selbst verbrennen können! Stattdessen die Geste einer Wiederholung, vieldeutig, ernst und (selbst-)ironisch. Und auch wenn sie nicht so berühmt werden wird wie der größte Autor, den ihr Mann je verlegt hat – wie gut, dass sie dieses Spiel inszeniert und nicht selbst Feuer an ihre Werke gelegt, dass ihre Manuskripte nicht verloren sind, dass wir ihren wundervollen Sommerroman jetzt in Händen halten und lesen können.


Helen Wolff: »Hintergrund für Liebe – Das Buch eines Sommers«. Roman. Herausgegeben und mit einem Essay von Marion Detjen. Weidle-Verlag, 216 Seiten, 20 Euro

fixpoetry, 23. Oktober 2020

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