Ich kann mich doch bewegen
Geburtstag. Hans Magnus Enzensberger hat eigentlich keine Lust, nur achtzig zu sein. Davon ist er an seinem Geburtstag weiter entfernt denn je
»Ein Dichter ist immer ein Einzelner, ein Querständiger, er bildet eine eigene Sekte, mit nur einem Mitglied. Da mag er sich, vorübergehend, noch so eng einer Gruppe anschließen, einem institutionellen Rahmen, sei es nun eine Zeitschrift, ein Verlag, eine Partei. Es bleibt, wenn der Lärm vergeht, der Qualm endloser nächtlicher Diskussionen sich verzogen hat, immer wieder er, allein vor dem weißen Blatt. Und um ihn und in ihm die Welt, die ganz subjektive, einmalige.
Diese Subjektivität ohne Maß, die sich nicht einfangen, nicht einspannen, nicht zähmen lässt, diese Asozialität, die auch eine Liebe immer nur auf Zeit aufheben und bändigen kann, ist und bleibt eine Zumutung. Sie erinnert uns daran, dass es Dinge gibt, die zu keinem Ergebnis führen, aus denen wir nicht klug werden, mit denen wir nicht zu Rande kommen. Und eine Zumutung ist auch, dass sich da einer gibt, ohne zu rechnen. Er investiert nicht, er teilt. Er kalkuliert nicht, er schenkt. Und er rechnet auch nicht auf oder ab. Denn es geht ja immer um ihn selbst, den Dichter. Und um uns, die Leser.
(...)
Die Verankerung des Intellektuellen in der Wirklichkeit ist schwankend. Enzensberger hat sie produktiv gemacht, hat sie als Bewegung zur Veränderung bejaht. Konsequenz, sagt er, verstünde er lieber als rhetorische denn moralische Kategorie, um jemanden, der eine solche ziehe, nicht in falsche Treue zu zwingen, die Verbohrtheit und Rechthaberei ähnlich sei – „jemand, der dafür bezahlt wird, dass er seinen Kopf gebraucht, darf das nicht tun“.
Korrekturen sind vorzunehmen, Dogmatik zu meiden. Und so sind seine Essays und seine Gedichte nicht nur an uns, sondern immer auch an ihn, den ersten Leser, den Autor gerichtet, sind Ermunterungen, Tröstungen, Aufrichtungen, Durchhalte- und Anfeuerungsformeln, (auto-)reflexive Operationen. Es geht ihm nicht darum, Strukturen zu verfestigen – ihn interessiert stets ihre Lockerung, Auflösung, Verwandlung. Mit den Mitteln der Sprache.«
Der Freitag, 11. November 2009