DER WIND



Der Wind
Kammerspiel in 3 Akten, 2000

Für 5 Schauspieler:innen

2015 auf der Shortlist des
zwischen/wege Festivals
in Freiburg

DER WINDKammerspiel

 

Personen:

Paul

Anne, seine Frau

Ulrich

Richard

Melanie, seine Frau

 

Ort:

Ein Sommerhaus auf dem Land

 

I

Großes Zimmer im Haus. In der Mitte ein Tisch, einige Sessel. An der Rückseite ein hohes Fenster, unter dem eine Bank entlangläuft. Rechts ein kleiner Schreibtisch mit verschließbaren Schubladen. Hinter dem Fenster ein großer abgestorbener Baum. Links eine Tür ins Haus, rechts zur Veranda.

Es ist etwa zehn Uhr und schon drückend heiß.

Paul und Anne in Trauerkleidung. Paul sitzt schwitzend in einem Sessel. Anne geht unruhig auf und ab und trägt verschiedene Dinge (Kissen, Gläser u. ä.) hin und her. Von Zeit zu Zeit steigt sie auf die Fensterbank, um hinauszuschauen.

PAUL: Setz dich doch. Sie werden schon pünktlich sein. Du machst mich ganz nervös. Wischt sich mit einem Tuch den Schweiß.

ANNE sieht hinaus: Weshalb hast du auch Karla nach Haus’ geschickt. Jetzt muss ich mich um alles selbst kümmern. Ich begreife dich nicht. Sieht ihn an. Paul, hörst du mir zu? Wie du schon wieder aussiehst. So kannst du unmöglich zur Beerdigung gehen. Geht durch die linke Tür hinaus.

PAUL durch die offene Tür: Kann ich für diese Hitze!? Mir wäre ein kühler Oktobertag auch lieber. Leiser. Dieses gleißende Sonnenlicht, diese trockene, mit Staub gesättigte Luft – es passt so gar nicht.

ANNE eintretend: Dass dein Vater aber auch gerade jetzt sterben musste ...

PAUL: Na wunderbar, wirf es ihm noch vor! Wann wäre es dir denn recht gewesen!?

ANNE: Um diese Zeit! Kein Mensch hat jetzt Lust, hier herauszufahren, bei dieser Hitze. Ist doch wie in der Wüste. Nur du scheinst ganz zufrieden damit. Kannst du deinen Vater still und heimlich unter die Erde bringen.

PAUL: Ich weiß nicht, was du willst. Immer beschwerst du dich. Wieso still und heimlich? Wir haben doch Gäste.

ANNE: Gäste. Pause. Ja, natürlich.

PAUL: Sind sie dir nicht recht?

ANNE: Wie du noch fragen kannst. Nein, sie sind mir nicht recht. Das weißt du ganz genau. Erst wirfst du alle aus dem Haus, dann bittest du sie wieder her. Wie es dir eben passt, ohne mich zu fragen –. Aber was mich am meisten wundert: Sie kommen auch noch. Und ausgerechnet zur Beerdigung deines Vaters.

PAUL: Sie haben ihre Gründe. Und ich habe auch meine Gründe.

ANNE: Aber ja, aber ja, sicher. Nur begreift sie keiner. Du stößt alle vor den Kopf.

Pause.

ANNE: Hast du nichts gehört? Mir war so –

PAUL: Nein, es war nichts. Weshalb bist du nur so nervös? Sind doch alte Bekannte.

ANNE: Als ob du nicht nervös wärst. Dir läuft der Schweiß ja nur so.

PAUL: Das ist die Hitze –

ANNE: Ja, natürlich. – Immerhin haben wir uns drei Jahre nicht gesehen.

PAUL: Drei Jahre ...

Die Tür von der Veranda öffnet sich. Ulrich, in elegantem schwarzen Anzug, einen kleinen Koffer in der Hand, tritt ein, bleibt jedoch nahe der Tür stehen. Anne, die ihm gerade den Rücken zukehrt, wendet sich auf das Geräusch hin um.

ANNE: Habe ich doch richtig gehört. Ach, Ulrich – Sie geht ihm entgegen. Komm doch herein, hallo.

ULRICH: Guten Tag.

Sie mustern sich. Paul steht auf, zieht sein Jackett glatt, richtet die Krawatte.

PAUL: Sehr willkommen. Sie geben sich die Hand. Du musst mein Aussehen entschuldigen, aber diese Hitze. Dabei bewege ich mich schon fast überhaupt nicht –

ANNE: Vielleicht ist das gerade der Grund.

ULRICH: Ja, es ist unerträglich heiß. Man ist über jeden Baum froh, der ein bisschen Schatten gibt. Aber ich rede übers Wetter und vergesse dabei das Wichtigste: Paul, es tut mir sehr leid ...

PAUL: Danke, danke. Es kam ja nicht unerwartet, da trägt man’s leichter, komischerweise. Aber gib doch deine Sachen her, setz dich.

Paul nimmt Ulrich den Koffer ab und stellt ihn links auf die Bank. Sie setzen sich. Anne steht am Fenster.
Schweigen.

PAUL: Ach, wo bin ich bloß mit meinen Gedanken. Du musst wirklich entschuldigen, aber ich bin ein wenig durcheinander. Du hast sicher Durst. Was willst du trinken? Wasser, Bier, ich hab’s extra kalt gestellt – oder lieber Kaffee oder –

ULRICH: Nein, macht euch keine Mühe, bitte. Ich habe unterwegs –

ANNE: Aber es steht doch alles bereit. Entschuldige, dass ich nicht gleich ... Ich geh rasch. Sie geht durch die linke Tür hinaus.

ULRICH: Es ist wirklich nicht nötig –

Schweigen.

PAUL: Hmmh. Wenn du willst, kann ich die Unterlagen jetzt schon holen. Soll ich? Es müsste alles ganz schnell gehen, ich hab’s schon geordnet.

ULRICH: Nein, lass doch. Nicht jetzt, das hat Zeit.

PAUL: Warum nicht? Bringen wir’s hinter uns.

ULRICH: Aber doch nicht hier. Jeden Augenblick –

PAUL: Ach, was. Bis zur Beerdigung ist noch mehr als eine Stunde, und Richards Pünktlichkeit kennst du ja. Es wird uns also keiner stören. Ich hole rasch den Ordner mit den Firmenunterlagen. Dann kannst du dir schon einen Überblick verschaffen. Bin gleich zurück. Er geht durch die linke Tür hinaus.

ULRICH: Paul, nein ... Warte doch bis morgen.

Ulrich lehnt sich seufzend in seinen Sessel zurück, stützt die Arme auf und legt die Fingerspitzen aneinander. So sitzt er eine Weile, vor sich hinsehend. Dann blickt er sich aufmerksam im Zimmer um. Schließlich steht er auf und geht auf das Fenster zu, vor dessen Bank er stehen bleibt. Sein Blick wandert hinauf und hinunter, geht dann zum Fenster und schließlich hinaus, zu dem hinter ihm stehenden abgestorbenen Baum, auf dem er lange Zeit ruht. Mit einmal dreht Ulrich den Kopf zur Tür, um sicher zu gehen, dass niemand kommt. Dann steigt er auf die Bank und versucht, das Fenster zu öffnen. Da es sich auch nach mehreren Anläufen nicht bewegt, verliert er die Geduld und zieht und rüttelt immer heftiger. Doch noch immer öffnet es sich nicht.

Paul kommt mit einem dicken Aktenordner zurück. Erstaunt bleibt er in der Tür stehen und beobachtet Ulrich. Als er näher hinzu tritt, macht er ein Geräusch, auf das hin Ulrich erschrocken zusammenfährt. Es ist ihm peinlich, überrascht worden zu sein. Während er von der Bank wieder heruntersteigt und sich die Hände an seinem Taschentuch abwischt, geht Paul zum Tisch, wo er den Ordner ablegt.

PAUL setzt sich: Man kann’s nicht mehr öffnen. Seit dem Gewitter vor drei Jahren, als der Blitz in den Baum einschlug. Du erinnerst dich doch?

ULRICH: Wie sollte ich nicht?

PAUL: Ja, natürlich. Kurze Pause. Nun, und seitdem klemmt es.

ULRICH: So wie wir alle.

PAUL: Wie meinst du das?

ULRICH: Hat uns die Nacht nicht allen was versetzt? Ich will nicht gerade behaupten, dass wir einen Schock erlitten hätten, dazu sind wir wohl zu nüchtern, dergleichen wirft uns ja nicht aus der Bahn, aber so ein kleiner Knacks, eine kleine Bahnabweichung genügt auch. Das summiert sich mit der Zeit. Und seither klemmt es.

PAUL: Ja, es klemmt. Und wir sitzen bei geschlossenem Fenster, mit Blick auf einen toten Baum. Kein Windhauch, kein Lebenshauch –

Die Verandatür öffnet sich. Anne kommt mit Melanie und Richard herein; die beiden sind noch nicht in Trauerkleidung.

PAUL: Da sind sie ja schon.

ANNE: Diese Hitze ist unerträglich. Ich habe oben die Zimmer lüften lassen, aber es ist noch immer so stickig. Nicht das kleinste Lüftchen geht.

RICHARD: Ist die Hitze gar zu groß, stellt sich eine Frage bloß: Wie werden wir schnell die Leiche los? Sie muss in die Grube sinken, fängt sie uns an zu stinken. – Oh, Pardon, die Herren. Diese Mienen, scheint’s, vertragen keine Witze. Er verbeugt sich schauspielerhaft.

ULRICH: Immer noch derselbe, wie ich sehe. Er nickt ihm zu und gibt Melanie die Hand. Melanie, wie hältst du das nur aus?

Anne geht zur rechten Tür hinaus und kommt kurz darauf mit einem Wägelchen, auf dem Gläser und Getränke stehen, wieder herein.

MELANIE: Gar nicht.

PAUL: Dann wären wir also komplett. Wie spät ist es?

ULRICH: Halb zwölf.

PAUL: Halb zwölf. Gut. Die Zeremonie ist auf zwölf angesetzt, bleibt uns eine halbe Stunde.

RICHARD: Trinken wir erst noch was! Er mustert die Getränkeauswahl.

ANNE: Ihr müsst ja schon halb verdurstet sein. Ulrich, entschuldige, dass du so lange warten musstest, aber – Sie schenkt allen ein – als ich nach draußen ging, sah ich Richard kommen, und da bin ich ihnen entgegen gegangen, und wir haben uns bei der Begrüßung etwas lang aufgehalten.

ULRICH: Macht doch nichts. Ich hab’ eigentlich gar keinen Durst. Er geht mit seinem Glas, an dem er nur nippt, zum Fenster.

RICHARD: Anne, gieß mir nicht dieses Zeug ein. Hast du nicht noch was anderes?

ANNE: Wie? Was meinst du?

MELANIE leise: Richard, bitte.

RICHARD: Nicht solche Kindergetränke. Ich denke, ein Whisky wär’ jetzt ganz brauchbar.

ANNE sieht ihn erstaunt an: Whisky. Ja – natürlich, warte, einen Moment. Sie geht hinaus.

PAUL ruft ihr nach: In meinem Arbeitszimmer, im kleinen Schrank ist eine Flasche. – Ist es nicht noch ein bisschen früh ... Du legst ja los, Richard.

RICHARD: Ach was, damit kann man gar nicht früh genug anfangen –

MELANIE: – und zu spät aufhören.

RICHARD: Du sagst es, mein Schatz. Aber ich muss mir doch Mut antrinken. Ist schließlich die erste Beerdigung, die ich mitmache. Meine eigene ausgenommen.

Anne kommt mit einer vollen Flasche zurück.

RICHARD: Ah, eine volle Flasche! Der Tag ist gerettet. Er gießt sich ein.

PAUL: Mein Vater ist doch kein umgehendes Gespenst, vor dem man sich fürchten müsste. Jedenfalls noch nicht.

RICHARD: Du meinst wohl besser: nicht mehr. Prosit allerseits!

Alle sehen Richard beim Trinken zu. Einen Moment herrscht Totenstille.

ANNE: Ja, dann. Ich denke, wir treffen uns hier in zehn Minuten wieder. Paul zeigt euch die Zimmer. Unsere Angestellte ist unpassenderweise gestern krank geworden. Auf die Schnelle konnte natürlich niemand anders engagiert werden. Wir müssen uns also selbst behelfen, so gut es geht.

MELANIE: Dann bleibt das Gepäck wohl am besten noch im Wagen. Ich brauche jetzt sowieso nur einen Koffer, den kann Richard holen. Richard! Jetzt rührt der sich wieder nicht. Zischt ihn an. Jetzt hör endlich mit der Trinkerei auf! Du bist schon wieder betrunken.

RICHARD: Lass mich in Ruhe. Du gehst mir auf die Nerven.

MELANIE scharf: Du holst jetzt sofort die Sachen!

PAUL: Gib mir die Schlüssel, ich geh’ schon. Was brauchst du?

MELANIE: Nur einen Koffer, den kleinen blauen. Nein, warte, ich gehe selbst mit. Im Hinausgehen zu Richard. Hast du wieder einen Dummen gefunden. Beide durch die Verandatür ab.

RICHARD: Ulrich, du sagst ja gar nichts. Stehst da mit deinem Glas wie ein Stockfisch. Gefällt dir die Komödie nicht? Kennst sie auch schon in- und auswendig? Ja, es ist immer dasselbe, genau wie vor drei Jahren. Hat sich nichts geändert. Wie sollten wir sonst auch die Einsätze treffen. Doch ich hatte auf dich gehofft, ein paar Einfälle, Geschichten, die die langen Stunden verkürzen. Schließlich bist du weit rumgekommen, irgend etwas musst du doch erlebt haben. Erzähl, es ist sonst so entsetzlich langweilig. In diesem Haus schleppt sich die Zeit noch elender als anderswo.

ULRICH: Ich muss dich enttäuschen, ich habe mich für die stumme Rolle entschieden.

RICHARD: Ei, wie witzig. Spielst den Beobachter, den Fädenzieher. Immer schön im Hintergrund. Aber für mehr taugst du auch nicht.

ANNE: Richard, ich weiß nicht, was wieder in dich gefahren ist. Kaum bist du hier, musst du das Kriegsbeil ausgraben.

RICHARD: Ja, bella mia, Frieden und Harmonie, die große, alles einlullende Decke, Heiterkeitswölkchen, liegen mir eben nicht. Wenn’s nicht raucht, fühle ich mich nicht wohl.

Melanie und Paul kommen herein. Paul trägt zwei gewaltige Koffer; er schwitzt stark.

PAUL: So, das hätten wir. Wischt sich den Schweiß. Jetzt nur noch hinauf in den oberen Stock.

MELANIE: Richard, vielleicht erhebst du dich nun mal gefälligst.

ANNE leise zu Paul: Wieso trägst du der Schnepfe die Sachen hinterher?! Sieh dich doch mal an.

PAUL: Ich weiß nicht, was du hast: sie sind schließlich unsere Gäste.

ANNE: Ja, ja. Und du ihr Lohndiener.

MELANIE: Richard!

RICHARD: Was befiehlt meine Teure? Ich eile, ich fliege ... Weshalb denn so aufgebracht? Er nimmt einen der Koffer. Hoppi, galoppi, hinauf ins obere Stocki.

Anne lacht.

RICHARD: Seht doch, Anne, sie lacht, lacht über meine Scherze – eine heitere Seele. Aber ihr, ihr ringt euch nicht mal ein müdes Lächeln ab. Ihr seid alle so träge, so langweilig. Es wär’ zum Heulen, wenn’s nicht ohnehin schon so traurig wär’. Pfeift vor sich hin.

MELANIE: Können wir jetzt endlich? Und, bitte, erspare uns dein Gepfeife.

Sie gehen zur Tür, Paul folgt mit dem zweiten Koffer. Ulrich geht gleichfalls ein paar Schritte auf die Tür zu, folgt ihnen jedoch nicht.

ANNE: Paul, zieh dir oben gleich noch ein frisches Hemd an. So kannst du nicht gehen. Ihr Blick fällt auf Ulrich. Willst du dich nicht oben ein bisschen frisch machen?

ULRICH: Nein, ich habe mir im Garten, in eurem Brunnen, die Hände gewaschen und fühle mich ganz wohl. Ich bin die Hitze ja gewöhnt.

ANNE: Du könntest aber wenigstens deinen Koffer raufbringen?

ULRICH: Ach, das hat Zeit bis später. Oder stört er hier?

ANNE: Nein, nein, das nicht.

Schweigen. Anne setzt sich in einen Sessel. Ulrich bleibt verlegen stehen.

ANNE: Setz dich doch.

ULRICH: Danke. Er setzt sich.

Schweigen. Dann beide zugleich.

ULRICH: Anne, ich wollte ... Aber bitte.

ANNE: Du sagtest ... Lacht. Nein, sprich du weiter.

ULRICH: Nein, bitte du. Meins war nicht wichtig.

ANNE: Man sollte nur Wichtiges sagen. Pause. Dann würden wir wohl gar nichts mehr reden. Ich wollte dich nur fragen, du sagtest, du seist die Hitze gewöhnt.

ULRICH: Ich war drei Jahre in Texas, dort gibt es auch nicht immer Klimaanlagen.

ANNE: So schlimm wie in diesem Jahr war es aber noch nie, wirklich. Du kennst es ja selbst noch von früher her. Kein Windhauch, die Luft wie erstarrt – und nie Regen, der ein bisschen Abkühlung bringen würde. Aber hier eine Klimaanlage einbauen, ich finde, das passt nicht. Womöglich noch mit einem Ventilator an der Decke. Ich käme mir vor wie in Havanna.

ULRICH: Man könnte wenigstens ein paar Bäume ums Haus pflanzen, das Dach isolieren, neue Fenster einsetzen, mit Läden, die über Mittag geschlossen werden ...

ANNE: Oder einfach auf Regen warten. Wir können doch nicht das ganze Haus umbauen.

ULRICH: Warum nicht? – Aber vielleicht haben wir ja Glück, und ein Gewitter zieht auf, wie damals. Da war es auch so drückend heiß, aber dann kam der Wind, der den von uns so sehr ersehnten Regen ankündigte, wirbelte alles durcheinander – Verzeih. Ich wollte dich nicht –

ANNE: Lass. Es ist gut. Sprechen wir wieder von ’was anderem. Wo waren wir? Pause. Ach ja, in Texas. Erzähl doch weiter. Was hast du dort gemacht? Man sieht dir an, dass du Erfolg hattest.

ULRICH: Ja, Erfolg hatte ich, jedenfalls was man so Erfolg nennt. Steht auf und geht auf und ab. Ich habe klein angefangen, in der Elektronikbranche. Zwölf, fünfzehn Stunden gearbeitet am Tag, da kommt man schnell hoch. Der Bereich expandiert ja unglaublich. Die Arbeit hat mir sehr geholfen, manchmal konnte ich Europa, dieses Haus, Euch vergessen. Jedenfalls für kurze Zeit. Anne, ich bin sehr froh, dich wiederzusehen.

ANNE: Als ich hörte, dass du kommst, dachte ich erst, es wäre nur Spaß. Wie lange willst du denn bleiben? Davon hat Paul gar nichts gesagt.

ULRICH: Das konnte er auch nicht, ich weiß es selbst noch nicht. Wahrscheinlich zwei, drei Monate, vielleicht auch für immer. Er sieht ihr ins Gesicht.

ANNE: Wo die anderen nur bleiben? Es ist bereits nach zwölf.

ULRICH: Bei euch ist alles, wie ich es verlassen habe. Es hat sich nichts geändert. Drei Jahre wie ein Tag. Er sieht aus dem Fenster. Bist du glücklich, Anne?

Sie sieht erschrocken zu ihm hinüber. Als er sich nach ihr umblickt, steht sie auf, ordnet ihr Haar.

ANNE: Ah, zum Glück, da kommen sie. Ich höre sie schon auf der Treppe. Hält sich die Unpünktlichkeit wenigstens in Grenzen.

Paul kommt, ungeschickt zurecht gemacht, herein.

PAUL: Wir warten bereits draußen, wo bleibt ihr denn? – Anne, kann ich so gehen?

ANNE: Ja, ja, du siehst schrecklich aus. Aber was soll’s, es ist sowieso für die Katz’. Bis zum Friedhof ist doch alles wieder ruiniert.

PAUL: Also, gehen wir. Ulrich, komm.

Alle durch die Verandatür ab.

Das Zimmer steht einen Moment leer. Dann tritt durch die linke Tür Richard, der inzwischen Trauerkleidung trägt, herein. Er bleibt an der Schwelle stehen und betrachtet von dort aus den Raum. Sein Blick bleibt an der Fensterbank hängen, wandert sie hinab, bis er eine bestimmte Stelle fixiert. Richard geht nun von der Tür auf eben diese Stelle zu und setzt sich halb schräg, so dass seine Hände rechts von ihm auf der Bank ruhen. Er lässt sie langsam hin- und hergleiten, wobei er die Augen geschlossen hält.

Ulrich taucht in der offen stehen gebliebenen Tür auf. Als er Richard bemerkt, zögert er mit dem Eintreten und beobachtet ihn. Schließlich verrät ihn das Geräusch der knarrenden Tür. Richard sieht auf und setzt sich gerade. Sie sehen sich an. Schweigen.


RICHARD: Gieß mir ein Glas Whisky ein.

Ulrich geht zum Tisch, nimmt ein Glas, gießt es voll und reicht es dann Richard. Alle Bewegungen sind langsam und feierlich wie bei einer Zeremonie.

ULRICH: Bitte.

RICHARD: Danke.

Richard trinkt das Glas langsam in einem Zuge aus, wobei er Ulrich gerade ins Gesicht starrt. Auch dieser sieht ihn unverwandt an.

Paul, Melanie und Anne kommen nacheinander durch die Verandatür herein.

PAUL: Ah, da seid ihr. Was macht ihr denn hier noch? Wieso kommt ihr nicht? Wir können doch nicht ewig auf euch warten.

RICHARD: Paul, halt’s Maul. Dein Vater kommt schon noch früh genug unter die Erde. Welcher Idiot hat nur den Einfall gehabt, die Beerdigung in der Mittagshitze zu veranstalten. Scheißidee.

Ulrich wendet sich ab.

PAUL: Dieser Idiot war ich.

RICHARD lacht: Du bist wirklich ein Idiot, Paul, wo du doch am meisten schwitzt.

MELANIE: Richard, würde es dir etwas ausmachen, dich jetzt endlich zu erheben, wir warten alle auf dich.

RICHARD: Ich sitze hier gerade sehr gut, geliebtes Weib. Es wäre fast gemütlich, wenn nur nicht so viele Nachtgestalten um mich herum flatterten. Aber, wie gesagt, es ist erträglich, selbst wenn ich deine Visage sehen muss, Melanie. Draußen dagegen halt’ ich’s einfach nicht aus.

ULRICH: Richard, jetzt reicht’s. Ich verstehe nicht, was du hier willst, weshalb man dich eingeladen hat, weshalb man dich mit solchem Großmut behandelt – es ist mir alles unbegreiflich. Ich muss mich damit abfinden. Du bist hier, nun gut, es wird ja nicht ewig dauern. Aber diesen Ton muss ich nicht ertragen. Da hört meine Geduld auf.

RICHARD: Wie schnell das geht. Ich lasse mir alles sagen, sind doch nur Worte. Außerdem ist es ehrlicher, als wenn alle mit so zugemauerten Mündern herumlaufen wie du und am liebsten Gift und Galle spuckten. Deine Moral, dein Anstand, deine Wohlerzogenheit hängen mir zum Hals raus.

ULRICH: Ich rate dir, komm jetzt.

RICHARD: Ich komme, wann’s mir passt. Ende. Er trinkt.

ULRICH: Das ist doch ...

ANNE kommt herein: Es ist höchste Zeit. Vom Friedhof wurde schon angerufen, sie fragen, wo wir bleiben. Was ist nun? Gehen wir?!

PAUL: Es gab eine kleine Unstimmigkeit ...

ANNE: Wieso Unstimmigkeit? Habt ihr’s jetzt geklärt? Wir können wirklich nicht länger –

PAUL: Ja, ja, es ist alles geklärt. Also, gehen wir.

ANNE: Na, also. Sie nimmt seinen Arm.

Melanie und Richard schließen sich an. Ulrich folgt in gewissem Abstand.

Alle durch die Verandatür ab.
 

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