Joachim Kalka »Der Mond«

05.07.2016 Sprache/Meta

Joachim Kalka »Der Mond«Rezension

 

Ein Buch für Mondsüchtige
Joachim Kalka erkundet den Erdtrabanten


Den Japanern sagt man ein ganz besonderes Verhältnis zum Mond nach – sie treffen sich in Vollmondnächten, um in andächtiger Versunkenheit den Himmelstrabanten zu beschauen. Und die Wirkung seines Lichts. Denn der japanische Ästhetizismus liebt nicht nur die direkte Anschauung, sondern noch viel mehr das feine, köstlich-luxuriöse Spiel über Bande. Die direkte Sicht auf die runde Mondscheibe tritt hinter die Widerspiegelung ihres Lichts zurück: schimmernde Oberflächen, aufglimmende Seidenstoffe und Steine oder auch nur der blasse Schatten, den der Mond unter Baumkronen und in Innenräumen wirft, sind in der japanischen Kunst daher hoch angesehen und Ausdruck höchster Kunstfertigkeit.

Aber eigentlich hat jedes Volk ein ganz eigenes Verhältnis zu dem uns nächsten Gestirn, verbindet mit ihm Gesichter und Fabelwesen: Mythen, Märchen, Lieder, Geschichten und Gedichte zeugen von der Anziehungskraft des Mondes auf unsere Phantasie und unsere Fabulierkunst. Joachim Kalka, Verfasser wundervoller kleiner Kulturgeschichten und Essays, die seit ein paar Jahren im Berenberg-Verlag erscheinen, hat jetzt dem Mond und dem, was er durch die Zeiten und Länder in uns Menschen gewirkt hat, einen Band gewidmet, und natürlich stellt sich da sofort heraus, dass es nicht einen Mond gibt, sondern viele. Schon dass er bei unseren Nachbarn weiblichen Geschlechts ist, verwandelt ihn, den stets sich Wandelnden, in etwas für uns Mann-im-Mond-Betrachter tief Geheimnisvolles: eine Mondgöttin.

Denn anders als der deutsche Mond, der eher das Geheimnisvolle, Unheimliche, Gespenstische, Tote oder auch das Lustig-Gesellige, Hemdsärmelige oder Senile verkörpert, ist die romanische Luna mit ihrem seidigen Licht vor allem in Liebesabenteuer und Erotika verstrickt. Da der Mond nur bei Nacht wirklich wahrgenommen wird – viele wissen noch als Erwachsene nicht, dass der Mond auch bei Tag zu sehen ist, so blass und unscheinbar (im wahrsten Sinne des Wortes) ist er da –, verbindet sich mit ihm die ganze Palette somnambulen Verliebtseins und nächtlicher Amouren: Ständchen, Stelldichein, Spaziergänge an Flüssen und Baden in nachtdunklen Seen, Händchenhalten, Liebesschwüre und heiße Küsse. Die von Nacht zu Nacht sich wandelnde Gestalt des Mondes, sein Wachsen und Schwinden, ist dabei insbesondere für kurze Liebeleien das Zeitmaß. Mit zunehmendem Mond wächst die Liebe, mit abnehmendem siecht sie dahin. Der Neumond ist wie die Null des Roulettes, die alle gesetzten Steine abräumt, die Glücks- und Liebestafel leert – und das Spiel von Neuem beginnen lässt.

In der kurzen Zeitspanne von Neumond zu Neumond ist aber nicht nur Zeit für amouröse Abenteuer, sondern auch für Eifersuchtsdramen und Verfolgungsjagden, nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren. Denn auch auf Katzen, Hunde, Wölfe, Fledermäuse hat das Mondlicht eine sonderbare Wirkung – sie jaulen und heulen ihn an, jagen in seinem Licht, fremde Beute oder einander. Und mischen sich mit Menschlichem. Werwölfe treiben sich nachts herum, Tote mit Fledermausflügeln und riesigen Eckzähnen. Das Licht des Monds ist kalt, es macht bleich, als würde seine Oberfläche den roten, warmen, lebenspendenden Anteil des Sonnenlichts schlucken. Dadurch wirkt alles geheimnisvoller als bei Tag, unheimlicher auch. Und es verwandelt. So ist der Mond nicht nur Begleiter und Mitwisser der Liebenden, sondern auch der Erwecker und Helfershelfer der (Un-)Toten, Hexen, Geister und Vampire.

Joachim Kalka hat viel zusammengetragen aus Mythologie, Literatur, Philosophie, Kunst, Film und Musik, sein Büchlein über den Mond ist aber nicht nur knappe Kulturgeschichte, sondern auch ein kleines Kompendium der vielfältigen, sich wandelnden Facetten des über den Mond Gedachten, auf seine Oberfläche Projizierten, in seinem Licht Phantasierten. Denn der Mond ist ja, sieht man von der nüchternen physikalisch-astronomischen Beschreibung ab, vor allem eins: das weiße Blatt, auf das wir unsere Wünsche, Träume, Ideen schreiben. Gern sind das Gesellschaftsutopien – und die erdachten Mondbewohner ein Gegenüber, in dem wir uns spiegeln, denen wir uns mal über-, mal unterlegen fühlen. Der Mond ist das erste, da nächste exterrestrische Erkundungs- und Eroberungsgebiet. Die literarischen Mondreisen bilden ein eigenes Genre der phantastischen und Science-Fiction-Literatur, lange bevor es eine tatsächliche Mondlandung gab (von denen viele behaupten, dass sie nie wirklich stattgefunden habe, sondern eine Inszenierung Hollywoods sei). Kalka widmet dem allen gebührende Aufmerksamkeit und schenkt dem Leser so manches hübsche literarische Kleinod.

So findet er bei Cyrano de Bergerac, der durch die Verfilmung seines Lebens mit Gérard Depardieu in der Titelrolle zu sehr auf den unglücklich liebenden Verseschmied festgelegt wurde, einen Doppelroman, in dem von einer Reise zur Sonne und einer zum Mond erzählt wird. Der Held des letzteren will zum Mond gelangen, indem er sich mit einer großen Zahl taugefüllter Fläschchen behängt, die ihn, da der Tau von der Sonne angezogen wird, emporheben (was nicht ganz bis zum Mond hinauf gelingt: er stürzt ab und landet in Kanada). Eine wundervolle Idee, die alle Reisen mit Ballons, Raketen und anderen Flugkörpern an Poesie übertrifft.

Aber eines erstaunt: dass Kalka, der eigentlich keinen Aspekt der menschlichen Monderkundung und -deutung auslässt, über die uns abgewandte, dunkle Seite des Mondes schweigt. Sie war lange Zeit, da nicht nur unerreichbar wie die uns zugewandte, sondern darüber hinaus auch noch unsichtbar, die finstere Seite unserer Phantasien und Spekulationen – nicht mal über ihre physische Beschaffenheit ließ sich etwas sagen. War ihre Oberfläche von Kratern übersät wie die uns zugewandte? Oder von ganz anderer Farbe, Form, Beschaffenheit? War sie bewohnt?

Die Rückseite des Mondes ist Bild für alles Unbekannte, Unerforschte, selbst jetzt noch, da der Mond umrundet und kartografiert wurde und es zahlreiche Aufnahmen von dessen rückwärtiger Kugelhälfte gibt. Die Zeichenhaftigkeit des Mondes aber hat, das hält Kalka fest, trotz Astronomie und Raumfahrt Bestand. Sie macht die magische Anziehungskraft dieses Gestirns aus, auf das wir noch immer unsere Träume, Wünsche, Ängste projizieren.


Joachim Kalka: »Der Mond«. Berenberg Verlag Berlin, 104 Seiten, 20 Euro

fixpoetry, 5. Juli 2016

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