die vielen Kontakte ramponieren meine Moral
Leset die Statistiken des Elends nach, die über das letzte Jahrzehnt vor dem Krieg aufgenommen wurden. Ihr werdet finden, daß von Jahr zu Jahr die Lohnstreiks sich verdichten, die unterirdischen Revolten stärker grollen, das Erstickungsleid der Seelen sich in sonderbaren Selbstmordepidemien zu entladen beginnt.
»Was es einem totalitären Regime möglich macht zu herrschen, ist, dass die Leute nicht informiert sind. Wie kann man eine Meinung haben, wenn man nicht informiert ist? Wenn einen alle immer anlügen, ist die Folge nicht, dass man an die Lügen glaubt, sondern vielmehr, dass niemand überhaupt etwas glaubt. Das ist der Fall, weil Lügen, in ihrem Wesen, verändert werden müssen, und eine verlogene Regierung muss die eigene Geschichte ununterbrochen umschreiben. Als Empfänger erhält man nicht nur eine Lüge – eine Lüge, der gegenüber man sich den Rest seiner Tage verhalten könnte –, sondern eine große Anzahl von Lügen, abhängig von der Richtung, in die der politische Wind weht. Und ein Volk, dass nicht mehr an etwas glauben kann, kann sich keine Meinungen bilden. Es wird nicht nur seiner Handlungsfähigkeit beraubt, sondern auch seiner Fähigkeit zu denken und zu beurteilen. Und mit einem solchen Volk kann man machen, was man will.« (Hannah Arendt, From an Interview, New York Review of Books, 26. Oktober 1978)
Der Mensch ist tatsächlich verschwunden. Aber es bleibt noch das, was ihn möglich gemacht hat, ihn begleitet und ihn noch immer dunkel aufrechterhält. Die Erkenntnis, die Schrift, die Reflexion.
Das Denken von alldem befreien. Die Wunde heilen, die durch das Verschwinden des Menschen und durch den Menschen geschlagen wurde. Endlich anfangen, etwas anderes zu denken und über etwas anderes zu sprechen als Menschen.
»Und dann gibt es einen Leuchtturm (Godrevy), wie durch beschlagenes Glas zu sehen, und eine graue Fläche, wo das Meer ist. Es gibt keinen Mond, oder Sterne, aber die Luft ist so weich wie Daunen, und man kann Bäume entlang der Hangstraße sehen, und den Umriss von allem ohne jegliches Detail.« (Virginia Stephen an Clive Bell, 26. Dezember 1909)
Die Aktualität kann sich allein als Schnittpunkt von Zeit und Ewigkeit konstituieren. Mit dieser unmittelbaren Berührung von Aktualität und Ewigkeit entreißt sich die Moderne zwar nicht ihrer Hinfälligkeit, aber der Trivialität: in Baudelaires Verständnis ist sie darauf angelegt, daß der transitorische Augenblick als die authentische Vergangenheit einer künftigen Gegenwart Bestätigung finden wird.
»Durch die Wechselwirkung wieder das Streben nach dem Äußersten.« Ohne sich dessen bewusst zu sein, hat Clausewitz nicht nur die Formel für das Apokalyptische entdeckt, sondern auch bemerkt, dass diese Formel mit der mimetischen Rivalität zusammenhängt. Wie aber kann man diese Wahrheit in einer Welt vernehmen, in der die unkalkulierbaren Konsequenzen der mimetischen Rivalität auch weiterhin nicht zur Kenntnis genommen werden?
Es ist dieser seltsame Diskurs, der scheinbar keine Rechtfertigung hat, da er nichts »anderes« zu sagen hat, da er nichts erleuchtet, da er auf der Stelle tritt und keine Versprechungen macht, es ist dieser seltsame, lächerliche Diskurs, der die Philosophie in der diagnostischen Tätigkeit ausmacht, in der sie sich heute wiedererkennen muss. In der sie das Heute wiedererkennen muss, das ihres ist.
Jedes Theoretisieren der Schreibpraxis hält mich vom eigentlichen Schreiben ab: Es entspinnt sich das Drama zwischen Theorie und Praxis, Transzendenz und Immanenz, Geist und Körper, Denken und Tun. Und wenn ich es einmal, endlich, schaffe, warum schweife ich dann dauernd ab? Warum verlaufe ich mich in meiner Bibliothek, statt selbst zu schreiben?
Die Nacht kommt schnell bei uns im Haus, besonders im Winter. Weil es am Waldrand liegt. In den Baumwipfeln oben glitzert noch der Raureif, zwischen den Stämmen und den unterm verharschten Schnee begrabenen Büschen aber laufen schon die Schatten, kriechen zu den Fenstern herein und stehen in den Ecken, stumm und kalt. Das Haus wird plötzlich kleiner, die Decke niedriger.
Wenn das Kompostgehege voll war, wurde es ein Podest. Von unserem Hintergarten konnte ich daraufklettern und dann in das unkrautige Feld jenseits der Häuser springen. Wer auch immer die Eigentümer waren, sie schienen kein Interesse an dem Stück Land zu haben, obwohl es noch nicht lange so aufgelassen liegen konnte, denn Bäume waren noch keine dort gewachsen, nur hohe Gräser, die im Winter zu Stroh abstarben und im Frühling grün, gelb und lila sprossen und ihre mit Samen angefüllten Häupter im Wind wiegten.
Auf der Suche nach Literatur von und über Anna Seghers machte ich einen Gang in die nahe gelegene Philipp-Schaeffer-Bibliothek. Fand dort meinen Roman ROT im Regal und zwei Bücher zur Autorin, deren Biografie und Werk mich seit der Lektüre ihres im Wiener Marsyas-Verlages wieder aufgelegten Romans »Der Weg durch den Februar« neu interessiert. Zu Hause begann ich dann gleich zu lesen ...
»Paris«, sage ich unverhofft, im Glauben, dieses Wort reiche, um einen ganzen Gemütszustand zu beschreiben. – Die Bemerkung, das Geheimnis der Langeweile sei, alles sagen zu wollen, war für mich immer eine willkommene Form, mit einem einzigen Federstrich dem Erzähler des neunzehnten Jahrhunderts und seiner erdrückenden Version von Allwissenheit den Garaus zu machen.
Was war dieses Wesentliche, das sich keinem Rahmen fügen wollte, das sagte: gilt nicht, wenn der quadratische Sucher sich um einen Ausschnitt schloss? Ich kam nicht dahinter, und je mehr ich sah, desto unmöglicher wurde mir die Vorstellung, einen Teil dieser Landschaft, die nur einen schmalen Streifen unter einem riesigen Himmel ausmachte, im Foto auszuschneiden und zum Ganzen zu erklären.
Im Haus in B. Lesen am Feuer. Draußen viel Regen, Nässe.
Die Sonne geht auf. Riesige Pfützen auf den Feldern, die golden schimmern.
Die Zacken und Fransen der Baumsilhouetten gegen das Sonnenlicht.
Das Wasser steht bis an den Bahndamm heran. Auenlandschaft. Orange-gelbe Spiegel in der Morgendämmerung.
Wie schnell es geht mit dem Hellwerden.
Mehr und mehr spürte ich insgeheim ein Verlangen nach allem, was unsere eigene Umgebung nicht bieten konnte: Weite, Wildheit, Berge, Wälder ... Ich denke, es ging mir dabei besonders um Waldgebiete, »echte« Bäume. Abgesehen von ein oder zwei Ausnahmen [...] habe ich flaches und baumloses Land immer verabscheut. Dort scheint mir einzig die Zeit gewissermaßen emporzuragen [...]
Der Europatag für Frieden und Einheit in Europa wird alljährlich am 9. Mai begangen. Er markiert den Jahrestag der Schuman-Erklärung vom 9. Mai 1950, in der der damalige französische Außenminister Robert Schuman seine Idee für eine neue Form der politischen Zusammenarbeit in Europa vorstellte, die einen Krieg zwischen den Nationen Europas undenkbar machen sollte. #StandWithUkraine
0_Kurze Vorrede
Von mir dürfen Sie keine Erzählung erwarten. Nicht in dem Sinne, wie Sie das vielleicht aus Netflix-Serien oder Märchen kennen. Es ist eher eine Gedankenführung.
Von jeher hat mich interessiert die Verbindung unterschiedlicher Gattungen, von Erzählung, Lyrik und Essay. Ein romantisches Vorhaben. Bekannt auch aus dem Alten und Neuen Testament. Eine Erzählung, die viele Erzähler:innen kennt, die sich wiederholt, widerspricht, variiert, die sich auflöst in Parabeln, Lieder, Gedichte, Weissagungen, Chronik, Bericht. Ein Speicher menschlicher Wünsche, Träume, Hoffnungen und Erfahrungen.
Am heutigen Welttag des Buches empfehle ich allerwärmstens, allerheiterstens und voll Begeisterung Christina Viraghs Roman »Montag bis Mittwoch« (erschienen im Dörlemann-Verlag, der diesen Herbst sein zwanzigjähriges Jubiläum feiert – schon mal vormerken!).
Vom 1. April bis zum 30. Juni bin ich Stipendiatin im Otto-Ubbelohde-Haus in Lahntal-Goßfelden. Das Haus liegt, umgeben von einem kleinen Garten, inmitten der Lahnauen, mit Blick auf Goldberg, Rickshell, Kalk- und Eisenberg und den Burgwald. Der Lahn-Radweg Richtung Lahnquelle (stromaufwärts) und Marburg (stromab) führt fast direkt am Haus vorbei. Bis Marburg sind es nur zwölf Kilometer. Das geht sich auch zu Fuß.
Meine Eindrücke aus Haus, Garten, Landschaft halte ich hier in einem Tage(foto)buch und Skizzenblock fest, keineswegs mit dem Anspruch auf Regelmäßigkeit, da meine Hauptarbeit die an meinem zweiten Roman sein soll.
Zum 8. März hat meine Kreuzberger Agentur Kirchner Kommunikation passende Bücher aus den Regalen gezogen.
Bei Anakoluth, in der Schönhauser Allee 124, liegt ein signiertes Exemplar meines Romans im Fenster. Weitere signierte Exemplare gibt es im Laden.
Ich bedanke mich bei all meinen Leserinnen und Lesern, bei meinem Lektor, meiner Verlegerin, den Redakteur:innen der FAS, meinen Kritiker:innen und Moderator:innen und natürlich bei meinen Freundinnen und Freunden sowie meiner Familie für das zurückliegende Jahr und wünsche allen ein gutes, ein friedliches, ein grandioses 2023!
... ein Text aus der Schreibtischschublade. Auch eine Weihnachtsgeschichte. Am 28. März 2013 hatte ich meinen Roman »Rot ist der höchste Ernst« nach sechs Jahren Arbeit abgeschlossen, mit diesem Ende. Später schrieb ich einen anderen Schluss, den, der sich jetzt im gedruckten Buch findet.
hinaufschauen zu Zügen, das werde ich nicht mehr
, und wie sich in den Bildern die Farbe einschleicht: die Grautöne mögen gar nicht zur Seite rücken
selbst dein Wunsch um Schnee ist erfüllt worden, und dass er um einen Tag verzögert erfüllt wurde, ist doch gerade das Feine, das Kluge daran, denn erst in der Erinnerung sind wir ganz bei der Sache
auch das ist nur recht: es muss eben in dir vor allem schneien
Petra Lohrmann veröffentlicht auf ihrem Blog »Gute Literatur – meine Empfehlung« ein enthusiastisches Lob zu »Rot ist der höchste Ernst«
»In ihrem grandiosen Debütroman erzählt Bettina Hartz von der Schriftstellerin Milena, die sich einen Lebensgefährten ausdenkt. Hans erscheint als eine reale Figur, doch er könnte auch eine Seite von Milenas Persönlichkeit sein. Auf diesem doppelten Boden bewegt sich der Roman, der tief reflektierend über Abhängig- und Unabhängigkeit, über Einsamkeit und Nähe, über Leben und Schreiben, d. h. Leben-Erfinden, nachdenkt. In einer einzigartigen, atemlosen Sprache, die ohne Floskeln oder Redewendungen auskommt, entwickelt sich eine Geschichte, die viele Fragen stellt, Rätsel aufgibt, Gesagtes und Ungesagtes miteinander verwebt, in die europäische Geschichte sowie ins Innerste Milenas führt. Ganz große Empfehlung!«
Am Wochenende 19./20. November ist mein Verlag Droschl auf der Buchlust in Hannover, zusammen mit 24 anderen unabhängigen Verlagen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, eingeladen vom dortigen Literaturhaus. Jeweils von 10 bis 18 Uhr.
Schaut gerne vorbei! Man kann Lesungen besuchen, nette Literaturmenschen kennenlernen und mit ihnen ins Gespräch kommen und natürlich: Bücher kaufen!
Bei Kohlhaas & Co., der Buchhandlung im Souterrain des Literaturhauses Berlin in der Fasanenstraße, gibt es jetzt, passend zur bald beginnenden Adventszeit, einen Kasten mit roten Büchern – darunter auch mein Roman ROT IST DER HÖCHSTE ERNST, in mich erfreuender Gesellschaft.
on a perdu le mot FIN
zirkuläre elliptische Strukturen
die böse Zeit
(die noch lange nicht enden wird)
Literaturfestival »Braunschweiger Literaturzeit«
Lesung aus ROT IST DER HÖCHSTE ERNST
In der Reihe »Das erste Buch« auf dem Literaturfestival »Braunschweiger Literaturzeit«.
Es moderiert die Kulturjournalistin Katrin Hillgruber.
Und auch im Buchladen Zur schwankenden Weltkugel in der Kastanienallee steht mein Roman ROT heute, am 27. Oktober, im Fenster.
Bei ocelot, in der Brunnenstraße steht mein Roman im Schaufenster. Weitere signierte Exemplare gibt es im Laden.
Mutter, Vater, Scham
Annie Ernaux rekonstruiert schreibend das Jahr 1952, in dem sie eine große Familientragödie erleben musste
FAS Nr. 43, 25. Oktober 2020, Feuilleton Seite 38
Aufstieg voller Demütigungen
Diese Woche erscheint das Schlüsselbuch im Werk der Schriftstellerin Annie Ernaux: »Der Platz«
FAS Nr. 10, 10. März 2019, Feuilleton Seite 36
Soziologie und Autobiographie
Annie Ernaux verbindet in »Die Jahre« ihre individuelle Lebensgeschichte mit der gesellschaftlichen Entwicklung Frankreichs
fixpoetry, 27. Januar 2018
Literaturhaus Berlin
Buchpremiere ROT IST DER HÖCHSTE ERNST
Es moderiert die Hörfunkjournalistin Gesa Ufer.
Bei schönem Wetter im Garten.
Und wer es heute Abend nicht ins Literaturhaus schafft:
Die Veranstaltung wird gestreamt auf https://literaturkanal.tv
Meine Besprechung zu Helga Kurzchalias »Haus des Kindes« (Friedenauer Presse) in der FAS erschienen
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